FTI-Europachef Lars Faeste: „Deutschland muss lernen, mutig zu werden“

Seit über zwei Jahren ist Lars Faeste Vorsitzender der Regionen Europa, Naher Osten sowie Afrika (EMEA) des Beratungshauses FTI Consulting. Der gebürtige Däne war im August 2022 nach einer rund 25-jährigen Karriere bei Boston Consulting Group zu FTI gewechselt. Bei BCG leitete er unter anderem die globale Transformationspraxis, gründete den Vorgänger von BCG Transform und saß im globalen Executive Committee. Der studierte Ingenieur und Manager ist spezialisiert auf Unternehmenstransformationen, Sondersituationen und Krisen und hat im Laufe seiner Karriere bei groß angelegten Transformationen, komplexen Turnaround-Projekten und der Bewältigung großer Krisen beraten. Faeste sitzt zudem im Executive Committee bei FTI Consulting. Er hat Deutschland als größten europäischen Wachstumsmarkt für FTI Consulting ausgemacht. Doch zahlreiche Hürden, die, wie er sagt, sich Deutschland selbst macht, müssten überwunden werden, bevor das Land sein volles Potential ausschöpfen kann. Deutschland müsse in der Krise wieder lernen, seine Muskeln spielen zu lassen, verrät er im FINANCE-Gespräch und hat klare Ideen, wie es Deutschland aus der Krise schaffen kann. FTI Consulting will „aggressiv“ rekrutieren FINANCE: Herr Faeste, 2019 hat FTI Consulting die renommierte Restrukturierungsberatung Andersch übernommen. Seither sind bereits an allen fünf Standorten alle fünf Business Units von FTI vorhanden. Welche Rolle spielt der deutsche FTI-Standort im FTI-Kosmos?Lars Faeste: Deutschland ist die bedeutendste Wachstumsregion für uns: Das Geschäft hat sich hier innerhalb kurzer Zeit verdoppelt, was die herausragende strategische Relevanz dieses Marktes unterstreicht. Um das Wachstum weiter zu beschleunigen, werden wir weiterhin den besten Expertinnen und Experten die richtigen Angebote machen, um zu uns zu wechseln. Dabei setzen wir vor allem auf Senior-Berater, die viel Erfahrung mitbringen. Das ist genau das, was unsere Mandanten derzeit auch einfordern. Info Das sind die fünf Business Units von FTI Consulting: Corporate Finance and Restructuring, Forensic and Litigation Consulting, Economic Consulting, Technology und Strategic Communications. FINANCE: Der Beratungsbedarf rund um Restrukturierung und Turnaround ist aktuell hoch. Ausgerechnet in dieser herausfordernden Zeit zerbricht die Koalition in der Bundesregierung. Welche Auswirkungen sehen Sie darin?Lars Faeste: Es besteht die Hoffnung, dass dieser politische Einschnitt – und die Rückkehr von Donald Trump in die US-Präsidentschaft – als Weckruf dient. Europa, und insbesondere Deutschland, steht vor der Herausforderung, seine Mentalität zu ändern: weg von einer defensiven Haltung hin zu einer „Winning-Mentality“. Trump wird ab Januar die Tagesordnung bestimmen. Deutschland muss lernen, sich nach vorne zu bewegen und Innovationen voranzutreiben. Das Land muss lernen, endlich mutig zu werden und zu führen. „Ich stelle mir etwa die Frage, warum einige Regelungen noch Bestand haben.“ Lars Faeste, Chairman EMEA bei FTI Consulting FINANCE: Wie kann das gelingen?Lars Faeste: Deutschland verfügt bereits über alle notwendigen Voraussetzungen: eine gut ausgebildete und motivierte Bevölkerung, eine hohe Attraktivität für Talente, ein solides Schulsystem und ein funktionierendes Rechtssystem. Die Transformation Deutschlands ist unerlässlich, um im globalen Wettbewerb weiterhin bestehen zu können. Hierbei dürfen auch sensible Themen nicht gescheut werden: Bestehende Strukturen müssen auf den Prüfstand gestellt werden. FINANCE: Was genau meinen Sie damit?Lars Faeste: Ich stelle mir etwa die Frage, warum einige Regelungen noch Bestand haben. Es gibt in Deutschland Regelungen, die können Unternehmen hemmen und notwendige Veränderungen sogar verlangsamen. Warum muss es in Deutschland Jahre dauern, eine Belegschaft umzustrukturieren? Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. In Ländern wie den USA, Großbritannien oder Dänemark ist es viel schneller möglich, ein Unternehmen umzustrukturieren als in Deutschland, wovon letztlich niemand profitiert. Mehr zum Thema Insolvenzen 2024: Rekordwert wird wieder erreicht Die Zahl der Insolvenzen steigt weiter, die Experten erwarten einen Rekordwert wie im Jahr 2020. Die Autozulieferer führen die Liste dabei an. Das sind die Ergebnisse des neuen Insolvenz-Reports. Mehr lesen Faeste: „Deutschland sollte Führungsrolle neu definieren“ FINANCE: Wir sehen den Beginn einer Wirtschaftskrise und steigende Insolvenzzahlen in Deutschland. Wie besorgt blicken Sie auf das Geschehen?Lars Faeste: Das Insolvenzgeschehen in Deutschland erlebt derzeit einen Aufschwung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: China und Russland, einst bedeutende Absatzmärkte, sind durch geopolitische Spannungen nahezu weggefallen. Hinzu kommen eine verfehlte Energiepolitik und der Rückgang von günstigem Gas, was zu höheren Kosten in der Lieferkette führt. Jetzt ist ein unsentimentaler, harter Blick auf die Fakten erforderlich: Restrukturierungen sind unausweichlich. Ein weiteres Problem liegt in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Insolvenzen. In Europa, und besonders in Deutschland, haftet dem Thema „Insolvenz“ ein Stigma an. Ganz anders in den USA: Dort gilt eine Insolvenz als Teil des unternehmerischen Kreislaufs und als Chance für einen Neuanfang. FINANCE: In welchen Sektoren sehen Sie Probleme, in welchen aber auch Chancen?Lars Faeste: Die energieintensiven Unternehmen haben es in Deutschland schwer, und das, obwohl das Land lange als führend in der Erhaltung seiner industriellen Basis galt. Dies hat sich nun nachteilig verändert: Hohe Energie- und Arbeitskosten treffen auf einen stagnierenden Binnenmarkt. Ein besonders kritisches Beispiel ist etwa der Automobilsektor. Jahrzehntelang exportierte Deutschland Autos und lebte von einem boomenden chinesischen Markt. Dort war man jedoch schneller in der Entwicklung elektrischer Technik. Deutsche Autos waren und sind dadurch immer weniger gefragt. Hier muss Deutschland umstrukturieren, seine Führungsrolle neu definieren und wieder innovativer werden. Ein wesentlicher Schritt in den kommenden Jahren wird zudem der Eintritt Deutschlands in die immaterielle Welt sein – also Technologie und Software. Hier hinken wir noch hinterher. Auch im Healthcare-Sektor steckt enormes Potential. Mehr zum Thema Immer mehr Unternehmen geraten in die Zinsfalle Die Zinswende ist in der Breite der Wirtschaft angekommen. Dabei wird deutlich, dass viele Unternehmen die Dynamik und Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung unterschätzt haben. Mehr lesen Faeste: „Der Antrieb zur Optimierung ist der Schlüssel.“ FINANCE: Lassen Sie uns einen tiefergehenden Blick in kriselnde Unternehmen werfen. Was können etwa hoch verschuldete Unternehmen Ihrer Erfahrung nach konkret tun, um Insolvenzen zu verhindern?Lars Faeste: In erster Linie geht es darum, harte Fakten anzuerkennen und rechtzeitig zu handeln, bevor es zu spät ist. Unternehmen müssen den Mut haben, sich von „heiligen Kühen“ zu trennen und die wirklich kritischen Themen anzugehen. CFOs und Führungskräfte sollten allerdings auch in guten Jahren niemals stillstehen. Ich halte es gerne mit dem Ansatz des ehemaligen Intel-CEO Andrew Grove: „Only the paranoid survive“. Selbst wenn alles funktioniert, muss hinterfragt werden, ob noch mehr möglich ist. Der ständige Antrieb zur Optimierung ist der Schlüssel. Doch viele Unternehmen scheuen sich, Maßnahmen zu ergreifen – aus Angst vor Stakeholdern, Konsumenten oder Kritikern. Vielmehr aber sollte die Frage lauten: Was könnten wir tun, wenn wir keine Einschränkungen hätten? Dieses ungebremste Denken eröffnet häufig neue Möglichkeiten. „Beide Gedanken – Bremsen und Beschleunigen – müssen parallel in den Köpfen der Führungskräfte existieren.“ Lars Faeste, Chairman EMEA bei FTI Consulting FINANCE: Was sollte die Finanzabteilung im Speziellen im Blick behalten?Lars Faeste: Konkrete Schritte sind wichtig: ein scharfer Blick auf den Kapitalmarkt, Private-Equity-Gelder und den Wettbewerb. Wo fließt Private-Equity-Geld hin? Wer bekommt derzeit Finanzierungen? Welche Trends zeigen sich an der Börse? Ein solides Geschäft zeichnet sich durch gesunde Cashflows und ein klares Kurs-Buchwert-Verhältnis aus. Wenn der Buchwert unter eins liegt, sollten Alarmglocken schrillen. Cashflow ist außerdem König: Wer das Geld verliert, verliert die Kontrolle. Beide Gedanken – Bremsen und Beschleunigen – müssen parallel in den Köpfen der Führungskräfte existieren. FINANCE: Mit welchen Themen sollten sich zukunftsorientierte CFOs viel mehr beschäftigen – tun es aber nicht? Lars Faeste: CFOs müssen die IT-Landschaft im Blick behalten. Sie ist ein entscheidender Treiber für das gesamte Business. Ein weiteres Schlüsselthema ist, wie schon erwähnt, die duale Denkweise. Der Spagat zwischen Kostenreduktion und strategischen Investitionen ist nicht einfach, aber unerlässlich. Und nicht zuletzt: Die unbequeme Konfrontation mit der Realität zulassen. CFOs sollten vergessen, was sie tun könnten – aber nicht tun können – und vielmehr den Fokus gezielt auf die Einschränkungen legen. Davon ausgehend ist entscheidend, sich zum Treiber und Katalysator der Veränderung zu entwickeln – und nicht passiv auf bessere Bedingungen zu warten.

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