Junganwälte: Zwischen Reichtum und Erschöpfung

„Brutale Arbeitszeiten“, „Nachtschichten sind an der Tagesordnung“, „Arbeitsbereitschaft rund um die Uhr“ – so beschreiben junge Juristen in Top-Kanzleien ihre Arbeit gegenüber dem Karrieremagazin „Azur“. Noch nie hat man als Junganwalt allerdings auch mehr verdient als heute. Denn Kanzleien buhlen mit allen Mitteln um die Top-Talente. Die Einstiegsgehälter von Topkanzleien liegen meilenweit über dem durchschnittlichen Bruttoverdienst in Deutschland (aktuell 51.876 Euro): 100.000 Euro für Junganwälte gilt als Mindestmaß, Top-Arbeitgeber Freshfields Bruckhaus Deringer zahlt sogar stolze 155.000 Euro. Und die US-Kanzleien übertrumpfen sich regelmäßig, was zur Folge hat, dass zum Beispiel ein Absolvent bei Milbank heute ein Einstiegsgehalt von 180.000 Euro plus 14.000 Euro Bonus erhält (siehe Tabelle). Einstiegsgehälter in Kanzleien 2024 Top-Zahler RankingKanzleiEinstiegsgehalt für Associates im 1. Jahr1Milbank180.000 Euro plus Bonus ca. 14.000 Euro2Willkie Farr & Gallagher175.000 Euro (inkl. Bonus)3Kirkland & Ellis169.000 Euro (plus Bonus)4Skadden Arps Slate Meagher & Flom170.000 Euro5Poellath145.000 bis 165.000 Euro (plus Bonus)Quelle: Azur-Liste 2024 Die Gehaltsspirale wird marktübergreifend allerdings durchaus kritisch gesehen. „Durch diese Gehälter kaufen sich Kanzleien Top-Talente ein, die in praktischer Hinsicht noch nichts können“, äußert ein Unternehmensjurist gegenüber FINANCE, der anonym bleiben möchte. Und er spricht damit vielen im Markt aus der Seele. Dass es der richtige Weg sei, Junganwälte mit viel Geld zu locken, um sie nach zwei bis drei Jahren ausgebrannt weiterziehen zu lassen, bezweifelt er. „Absolventen erhalten dadurch ein falsches Bild der Wertigkeit ihrer Arbeit und dem Gehaltsgefüge auf dem Arbeitsmarkt“, so der Jurist. Juristen-Gehälter haben ihren Preis Blauäugig scheinen aber eher wenige. Den allermeisten Absolventen ist klar, dass ein solches Gehalt seinen Preis hat. „Der Job ist belastend. Das muss einem jedoch klar sein, denn das Gehalt wäre sonst niemals zu rechtfertigen“, beschreibt es etwa ein Associate in dem Karrieremagazin „Azur“. Eine leitende Juristin eines international tätigen Unternehmens, die selbst umfangreiche Großkanzleierfahrung gesammelt hat, mahnt im Gespräch mit FINANCE jedoch vor den Dollarzeichen in den Augen und glaubt nicht, dass die Absolventen realistisch einschätzen, worauf sie sich da einlassen: „Als Berufsanfänger hat man vermutlich keine Vorstellung, was es bedeutet, regelmäßig unter Zeitdruck bis spät in die Nacht zu arbeiten, was der Mandatsdruck mit einem macht und was es heißt, die vorgegebenen Billable Hours zu schaffen.“ Der General Counsel Commercial & Technology des Automobilzulieferers Schaeffler, Ulrich Keil, glaubt, dass der Druck auf die Jungjuristen sehr groß ist. „Bei derartigen Gehältern stellen sich die Absolventen stets die Frage: ‚Bringe ich qualitativ die Leistung, die dieses Gehalt und korrespondierend die Stundensätze wert sind?‘ Das schafft Druck, wodurch 15-Stunden-Tage entstehen, was einem – und seiner Leistung – dauerhaft nicht guttut.“ Erst bei mehr Berufserfahrung könne man den Stift guten Gewissens auch mal fallen lassen, weil man in seiner Leistung gefestigt ist. Info Billable Hours sind diejenigen Arbeitsstunden, die eine Kanzlei einem Mandanten für ihre Rechtsberatung in Rechnung stellen kann – also tatsächlich für ein Mandat aufgewendete Arbeitszeit. Viele Wirtschaftskanzleien machen ihren angestellten Associates Mindestvorgaben zu den Billable Hours, die sie innerhalb eines Jahres abrechnen müssen. Jungjuristen wollen keine Maschinen mehr sein Doch hohe Gehälter – so lukrativ sie auch sein mögen – sind für die jungen Absolventen inzwischen nicht mehr alles. Nicola Elsner, Personalberaterin für Juristen weiß: „Vielen ist vor allem das Team wichtig und dass sie sich dort wohlfühlen. Schließlich verbringen sie viel Zeit mit ihrem Job.“ Essenziell sind darüber hinaus spannende Mandate, am großen Rad der Wirtschaft mitdrehen zu können, eine Aussicht auf Entwicklung und direkter Mandantenkontakt. Nach den Coronajahren, in welchen vielen Studierenden die Decke auf den Kopf gefallen ist, haben besonders die jungen Menschen den Wert des beruflichen Umfelds, in dem sie etwas lernen und wachsen können, wieder zu schätzen gelernt, so Elsner. Gleichzeitig beeinflusst aber auch eine weitere Entwicklung der vergangenen Jahre den Job: Personal wird zunehmend knapper, Technik nimmt eine neue Rolle in Arbeitsprozessen ein und der Faktor Mensch – mit seinen Bedürfnissen etwa nach individueller Entfaltung, Pausen, mentaler und körperlicher Gesundheit – rückt zunehmend in den Fokus. Die Folge: Die Jungjuristen wollen zwar nach wie vor viel leisten und lernen – aber nicht (mehr) um jeden Preis. Junge Menschen wünschen sich vor allem mehr Akzeptanz gegenüber ihrer privaten Zeit. Jura-Absolventen haben andere Leistungsbereitschaft Davon berichten auch die Gründerinnen von Legally Female, einer Netzwerkplattform für junge Juristinnen. „Das unternehmerische Selbstverständnis der Generationen crasht in den Kanzleien häufig aufeinander“, so Co-Gründerin Ann-Kathrin Ludwig, Associate bei Allen & Overy. Zu Konflikten käme es wegen einer missverstandenen Leistungsbereitschaft. „Die Bereitschaft nur um der Leistung Willen sinkt. Der jungen Generation geht es mittlerweile mehr um den Sinn hinter der Arbeit – und in diesem Zusammenhang ist die Leistungsbereitschaft sehr hoch.“ Nicola Elsner ist Personalberaterin für Juristen in Frankfurt. Foto. Nicola Elsner Auch Recruiterin Nicola Elsner berichtet aus ihrer Erfahrung von den Generationenkonflikten. „Viele Partner hadern damit, dass Associates oder Counsel nicht mehr wie sie einst selbst immer telefonisch erreichbar sind.“ Doch für Junganwälte sei Arbeit nicht mehr alles. Wenn es brennt, gelte selbstverständlich „all hands on deck“, aber wenn die Arbeit mehr Freiraum hergebe, wollen sie ihn auch haben. Wertschätzung sei ein bedeutendes Thema unter jungen Juristen, so die Frankfurter Personalberaterin. „Die heutige Partnerriege ist unter der Prämisse herangewachsen, dass ihre Arbeit gut war, wenn niemand ein schlechtes Wort verloren hat. Heute wollen die Associates Lob, Dank und Anerkennung.“ Ihre Anforderungen formulieren die Juristen auch klar an die Arbeitgeber – ein Novum, worauf sich die Kanzleien einstellen müssen. Von der Top-Kanzlei ins Unternehmen will überlegt sein Und noch eine Herausforderung für die Kanzleien: Nach rund drei Jahren in den Top-Kanzleien wollen viele junge Juristen nach guter Ausbildung zu einem Arbeitsplatz wechseln, bei dem die Work-Life-Balance stärker gelebt wird – zum Beispiel als Inhouse-Jurist. Ein Grund ist oft der Wunsch nach Familie. Für die Kanzleien bedeutet das, der leistungsstarke Mittelbau bröckelt. „Das von den Kanzleien vorgelebte Gehaltsniveau können weder Unternehmen noch die Verwaltung leisten“, gibt die Unternehmensjuristin, die anonym bleiben möchte, zu bedenken. Personalberaterin Nicola Elsner weiß, viele Wechsler nehmen den Gehaltsrückgang in Kauf, um einen etwas ruhigeren Arbeitsalltag zu haben. Aber auch als Inhouse-Jurist müsse man leistungsfähig sein, „da braucht man Juristen, die Spaß an der Arbeit haben und nicht von den ersten Berufsanfängerjahren ausgebrannt und vorbelastet sind und aufgrund des möglicherweise niedrigeren Gehaltsniveaus mit falschen Erwartungshaltungen in ein Unternehmen wechseln, so die leitende Unternehmensjuristin. Dem stimmt auch Schaeffler-Jurist Keil zu: „Die Zeiten sind vorbei, in denen man in Unternehmen nur von 9 bis 17 Uhr arbeitet.“ Man prüfe nicht mehr nur Verträge. „Wir Inhousejuristen sind mittlerweile eng eingebunden, wenn es um die Entwicklung von Geschäftsmodellen geht.“ Der Wechsel ins Unternehmen ist also auch nicht mehr zwingend die Lösung für Juristen mit Wunsch nach besserer Work-Life-Balance. Die faszinierende Welt der Wirtschaftsanwälte wird weiterhin ein Extrembeispiel für die Arbeitswelt bleiben. Und in ebendieser werden High Performer ihr Glück finden. Und die Attraktivität monetärer Anreize in hochkompetitiven und prestigeträchtigen Feldern hält an. Doch längst herrscht nicht mehr das Bild vom Berater als Maschine. Die menschlichen Grenzen kommen zunehmend in der Branche an. Und auch die neuen Arbeitsbedürfnisse werden ihre Legitimation erhalten und rütteln bereits jetzt am konservativen Kanzleibild.

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