„Ich bin eigentlich immer erreichbar“

Sabrina Hirniak ist eine Leistungsträgerin. Die 42-Jährige ist Mutter eines sechsjährigen Sohnes und arbeitet in Vollzeit bei der Restrukturierungsberatung Haselhorst Associates. Begonnen hat die Sanierungsexpertin dort vor 13 Jahren als Beraterin, Anfang des Jahres ist sie zum Associate Partner aufgestiegen, hat damit Führungsverantwortung. Mit FINANCE spricht Hirniak darüber, warum sie trotz Familie auch am Wochenende erreichbar ist, was sie an ihrem Job liebt und weshalb sie Restrukturierer nicht als „Totengräber“ sieht. Frau Hirniak, zum Jahresbeginn hat Ihr Arbeitgeber Sie zum Associate Partner befördert, eine Stelle, die natürlich auch mehr Verantwortung mit sich bringt. Haben Sie gezögert, die Beförderung anzunehmen? Nein, natürlich nicht. Ich habe ja lange darauf hingearbeitet, Partnerin zu werden. Ist das Arbeitspensum denn gestiegen? Oder gab es andere Veränderungen? In Summe hat sich an meiner Arbeitszeit seit dem Jahreswechsel nicht viel geändert. Ich bin ja schon lange in der Restrukturierungsberatung tätig und hatte eigentlich noch nie einen 9-to-5-Job. Die viel größere Änderung gab es vor sechs Jahren, als mein Sohn geboren wurde: Seit ich Mutter bin, muss ich mich flexibler orientieren. Inwiefern? Als mein Sohn geboren wurde, war die Digitalisierung noch nicht so weit fortgeschritten. Dadurch habe ich in der Anfangszeit Nachteile im Beruf gehabt, ich konnte beispielsweise nicht sofort bei jedem Meeting sein. Oder wenn ich gefragt wurde, „Kannst du morgen beim Kunden X sein?“, war das in der Anfangszeit zeitlich schwierig. Heute ist das einfacher, weil es Möglichkeiten wie Microsoft Teams gibt. Morgens Indien, mittags Europa, abends Nordamerika Sie profitieren also von der Digitalisierung? Seit der Corona-Pandemie hat sich viel verändert. Die zunehmende Digitalisierung, die dadurch stattgefunden hat, ermöglicht es mir, meinen Arbeitsalltag deutlich flexibler zu gestalten. Ich gebe zu, ich habe nicht immer am Wochenende und auch nicht immer um 19 Uhr frei. Aber ich kann die Arbeit durch das mobile Arbeiten von zu Hause – in Vereinbarkeit mit der Familie – deutlich flexibler und effizienter gestalten. Das müssen Sie erklären. Ich arbeite oft in internationalen Projekten. Da genieße ich die Vorteile des digitalen Lebens. Ich telefoniere zum Beispiel morgens mit indischen Kollegen, mittags kümmere ich mich um Europa und abends dann um Nord- und Südamerika. Das war früher nicht möglich. Das hört sich nach einem intensiven beruflichen Alltag an. Wie entgrenzt ist Ihr Beruf eigentlich, auch was Erreichbarkeit angeht? Ich bin eigentlich immer erreichbar. Darüber beschwere ich mich aber nicht. In der Restrukturierungsberatung zählt wirklich jeder Tag, die Kommunikation erfolgt manchmal am Wochenende. Zum Glück meldet sich um Mitternacht nicht immer jemand. Kollidiert die dauernde Erreichbarkeit manchmal mit Ihrem Privatleben? Ja, das kommt vor. Zum Beispiel, wenn ich samstagnachmittags ein wichtiges Telefonat habe. Ich versuche aber, meinem Sohn ein gutes Vorbild zu sein. Ich versuche ihm zu zeigen, dass er sich den Job aussuchen soll, der ihm Spaß macht. Dann tut es auch nicht weh, wenn man mal ein Telefonat oder eine Konferenz am Wochenende hat. Alles zum Thema Restrukturierung Sparprogramme, Verlagerungen, Bilanzsanierung: Kaum ein Unternehmen kommt über die Jahre ohne eine Restrukturierung aus. Für Sanierungsberater ist das ein gutes Geschäft. Mehr lesen Ein CRO-Mandat läuft 18 bis 24 Monate In der Restrukturierungsberatung kann es auch mal sehr stressig werden. Wie gehen Sie im Familienleben mit beruflichen Stressphasen um? Da muss ich durch. (lacht) Mein Kind kommt nun in die Schule und braucht mich nicht den ganzen Tag. Ich bin dementsprechend zu ganz normalen Zeiten ganz normal verfügbar. Es gibt Anspannungsgrade, da muss man das in der Familie kommunizieren: „Pass auf, das ist eine harte Phase.“ Aber danach haben wir auch Urlaub. Andere CROs (Chief Restructuring Officers, Anm. d. Red.) fahren nach richtig harten Projekten, die auch mal zwei Jahre gehen, zwei Monate in den Urlaub. Aber das geht mit einem Schuldkind natürlich nicht. Ist das typisch für Ihren Beruf, dass man sich nach einem harten Projekt länger Urlaub nimmt? Das ist immer das Ziel. Und es ist auch total sinnvoll. Ein CRO-Mandat ist eine hochangespannte Phase, ein Transformationsprozess, der 18 bis 24 Monate dauert. Wir sind nicht in dem Umfeld unterwegs, in dem wir in sechs bis acht Wochen ein Restrukturierungsgutachten schreiben. Ich bin aktuell auch schon knapp 24 Monate bei meinem Kunden. Danach tut es einfach gut, wenn man eine längere Pause macht, die nicht nur eine Woche lang ist. Es ist aber auch immer eine Frage, woraus man seine Energie zieht. Ich ziehe Energie aus meinem Beruf. Unterstützt Ihr Arbeitgeber Sie konkret dabei, Job und Familie zu vereinbaren? Wir sind alle Familienmenschen, alle älteren Kollegen haben Kinder. In meinem Unternehmen geht man sehr offen mit dem Thema Eltern-Sein um. Es gibt keine Ellenbogenmentalität bei uns. Wir haben da eine offene Kommunikationskultur und stimmen uns individuell ab. Und bei uns gilt: Wer seinen Job gut macht, kriegt auch die Unterstützung, das mit der Familie zu vereinbaren. Ich adressiere das auch in Vorstellungsgesprächen und sage, dass ich Mama bin. Unsere Bewerber sollten keine Angst vor der Vereinbarkeit des Berufs mit dem Familienleben haben. „Out of the box“-Denken in der Restrukturierung Kommen wir mal auf Ihre Berufswahl zu sprechen: Worin sehen Sie den „Purpose“ der Tätigkeit in der Restrukturierungsberatung? Ich suche Veränderung, ich suche Herausforderung, beides finde ich in der Restrukturierung. Und ich bewerte gerne verschiedene Optionen – das ist der kreative Teil, man kann „out of the box“ denken. Außerdem mag ich die Kommunikation in der Restrukturierung sehr gerne, weil die Shareholder-Kommunikation in meinem Beruf das A und O ist. Mehr zum Thema Wie kann Restrukturierung wieder sexy werden? Der Personalbedarf bei Restrukturierungsberatungen steigt. Gleichzeitig kämpfen die Consulting-Häuser mit frühen Abgängen. Ist die Branche machtlos gegen diesen Trend? Mehr lesen Restrukturierungsberater selbst sehen sich als Retter – außerhalb der Branche ist das Bild von Ihrer Profession aber nicht nur positiv. Was würden Sie jemandem erwidern, der die Restrukturierer eher als „Totengräber“ sieht? Restrukturierung ist für mich überhaupt nicht das Ende. Es geht darum, das Unternehmen vorzubereiten, damit es weiter seinen Weg gehen kann, neue Strategien zu entwickeln. Insolvenzen und harte Sanierungen gehören aber auch dazu. Die Restrukturierung ist kein Hochglanzmagazin. Man kann aber auch eine Insolvenz positiv gestalten. Ich habe eine Liquidation begleitet, bei der ich Freundschaften geschlossen habe. Wir hatten versucht, mit dem Mutterunternehmen zusammen den Weg so komfortabel wie möglich zu gestalten. Das hat ein gutes Ende genommen. Zum Abschluss: Auch die Restrukturierungsberatung sucht dringend nach Verstärkung. Was würden Sie einem Absolventen eines Wirtschaftsstudiengangs sagen, der auf Jobsuche ist? Komm zu uns, bei uns hast du eine ganz steile Lernkurve. Du kannst ganz schnell Themen selbst entwickeln, du kannst kreative Lösungen ausarbeiten. Du kommst relativ schnell in die Verantwortung und du hast die Chance, dich sowohl mit finanzwirtschaftlichen als auch mit operationellen Themen zu beschäftigen. Parallel kannst du am nächsten Tag schon Kontakt zum Vorstand haben und dort Diskussionen mitverfolgen – und später sehen, dass sie innerhalb der nächsten zwei Jahre zu einer Erfolgsgeschichte geworden sind. Das ist das, was begeistern kann und was mich auch begeistert.

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