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Stress, Zeitdruck und Budgetrestriktionen sind an der Tagesordnung von Wirtschaftsprüfern. Fehler finden macht zusätzliche Arbeit.
pressmaster – adobe.stock.com

Die Wirtschaftsprüfer stehen am Pranger – die gesamte Branche, mal wieder. Besonders der Bilanzskandal bei Wirecard hat die Arbeit der Kontrolleure schlagartig in den Fokus gerückt: Warum hat Wirecards Prüfer EY jahrelang munter die Bilanzen des Konzerns testiert, obwohl der Zahlungsdienstleister in großem Ausmaß Geschäfte erfunden hat? Auch die überraschende Insolvenz der Greensill Bank samt Bilanzungereimtheiten sowie die Unstimmigkeiten beim Finanzdienstleister Grenke haben der Branche einen weiteren Schlag versetzt. In der Öffentlichkeit entstand das Bild von laxen Prüfern, die scheinbar die einfachsten Prüfungshandlungen nicht durchführen können.

Mit einem schnell durchgepeitschten Gesetz, dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG), versucht die Bundesregierung nun, den Glauben an die Abschlussprüfung und die Unternehmensbilanzen wiederherzustellen. Die Prüfer werden hart an die Kandare genommen: Sie sollen ihre Mandate schneller wieder abgeben, um die Unabhängigkeit nicht zu gefährden. Auch müssen sie bei Fehlern deutlich stärker haften – die Angst vor Bestrafung soll die Qualität steigern. Und: Wo man prüft, darf man nun kaum noch beraten. Es sollen keine falschen finanziellen Anreize gesetzt werden.

Wie streng sind Wirtschaftsprüfer wirklich?

Aber reicht das? Vieles wurde schon vor dem aktuellen Gesetz diskutiert, teilweise – wie etwa die Prüferrotation oder eine stärkere Trennung von Prüfung und Beratung – schon in Maßnahmen umgesetzt. Liegen die Probleme vielleicht woanders, womöglich tiefer?

Ein Ansatzpunkt sind die teils problematischen Arbeitsbedingungen, die Fehler bei der Prüfung begünstigen können, wie Praktiker berichten. Theorie und Praxis klaffen im Prüfungsalltag oft auseinander. Abschlussprüfer geben nach außen den Eindruck strenger Kontrolleure, die monatelang die Zahlen eines Unternehmens durchleuchten und auf Basis umfangreicher Untersuchungen schließlich ein Testat vergeben. Das ist für Anleger ein wichtiges Signal für die Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens. Doch im Arbeitsalltag existiert ein großes Problem: „Eigentlich will niemand so richtig, dass man Fehler in den Zahlen des Unternehmens findet“, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin einer Big-Four-Gesellschaft, die anonym bleiben möchte. „Denn das sorgt sowohl beim Unternehmen als auch beim Wirtschaftsprüfer nur für Probleme.“

Kundenzufriedenheit ist wichtig

Was zunächst paradox klingt – immerhin ist es doch der Job der Prüfer, mögliche Fehler zu finden -, lässt sich mit Blick auf das Geschäftsmodell schnell erklären. Der Prüfer wird vom Geprüften selbst bezahlt, viele Marktteilnehmer sehen darin einen schwerwiegenden Interessenskonflikt. Die Budgets für die Prüfung sind dabei sehr knapp kalkuliert, denn ein möglichst niedriges Honorar ist oftmals zentral, um ein ersehntes Prüfmandat zu gewinnen. Die Folge: Wenn man Unstimmigkeiten findet, denen man nachgehen muss, kann das mehr Zeit kosten und das vereinbarte Budget sprengen.

In der Theorie sollte das die Prüfer natürlich trotzdem nicht davon abhalten, ihre Prüfungshandlungen auszuweiten. Das Budget darf nicht gedeckelt sein, so ist das vorgeschrieben, das Unternehmen muss die Mehrkosten tragen. Doch in der Praxis ist es nicht immer so einfach, das gegenüber dem Unternehmen zu vermitteln. „Man will den Kunden auch nicht verärgern. Die Kundenzufriedenheit ist sehr wichtig“, berichtet ein junger Prüfungsassistent aus einem Big-Four-Haus.

Unangenehme Nachfragen bei Überstunden

Ähnlich drückt es ein erfahrener Wirtschaftsprüfer aus, mit dem FINANCE gesprochen hat und der anonym bleiben will: „Man muss als Prüfer das Rückgrat haben, zum Vorstand zu gehen und zu sagen, dass man mehr Zeit und Geld braucht.“ Es gebe aber Unternehmen, die dann mit Mandatsentzug drohten. „Das ist für manche Prüfer ein Schreckensszenario: Wenn das Mandat weg ist, ist auch mein Erfolg weg, fürchten viele – das schadet der Karriere“, berichtet er. Manchmal hieße es dann: „’Komm, mach jetzt Schluss, wir sind am Ende des Budgets.’ – Das haben wir alle schon erlebt.“

„’Komm, mach jetzt Schluss, wir sind am Ende des Budgets.’ – Das haben wir alle schon erlebt.“

Ein Wirtschaftsprüfer

Die andere Alternative: Man prüft weiter, die WP-Gesellschaft nimmt die zusätzlichen Kosten aber auf die eigene Kappe, um den Kunden nicht zu verärgern. Doch auch das ist nur begrenzt möglich, wie das Beispiel eines Datenanalysten zeigt, der aus seiner Zeit bei einem Big-Four-Haus berichtet: „Es gab die offizielle Ansage, dass wir alle Stunden, die bei der Prüfung anfallen, erfassen. Doch zwischen den Zeilen war die Erwartungshaltung eine andere.

Bei acht Stunden sollte Schluss ein. Bei der Erfassung von Überstunden gab es unangenehme Nachfragen seitens der verantwortlichen Manager, ob die zusätzliche Arbeit denn wirklich notwendig gewesen sei.“ Denn letztlich sollten auch die verantwortlichen Manager im Prüfungsteam das Budget einhalten – wenn sie selbst Karriere machen wollen. Als Konsequenz sei es Usus gewesen, unbezahlte Überstunden zu akzeptieren.

Fehler können sich jahrelang durch Bilanzen ziehen

Die hohe Arbeitsbelastung wirke sich dann irgendwann auch auf die Qualität aus, betont der Datenanalyst, der anonym bleiben möchte. „Man ist letztlich auch nur ein Mensch. Man arbeitet während der ‘Busy Season’ extrem hart, lebt nur für die Firma. Man will einfach nur noch fertig werden mit der Prüfung. Dann gibt es da vielleicht noch ein Dokument, das man anschauen könnte, aber nicht muss … dann lässt man es auch eher. Das ist fatal.“

Das knappe Budget führt nicht nur dazu, dass das Finden von Fehlern eigentlich unerwünscht ist – es wirkt sich auch auf die Zusammenstellung der Prüfungsteams aus: Der Großteil besteht aus Prüfungsassistenten mit zwei bis fünf Jahren Berufserfahrung, die noch vor ihrem WP-Examen stehen und entsprechend niedrige Stundensätze haben. Der Rest des Teams setzt sich aus wenigen examinierten Wirtschaftsprüfern und Partnern zusammen. Den Hauptteil bei der Prüfung, vor allem sogenannte Routinearbeiten, machen die Assistenten; Manager und Partner wählen hingegen Prüfungsschwerpunkte aus, setzen sich mit vereinzelt komplexen Bilanzierungsfragen auseinander und managen das Projekt.

Doch gerade für Berufsanfänger seien diese Routinetätigkeiten eben keine Routine, kritisiert die ehemalige Mitarbeiterin einer Big-Four-Gesellschaft. „Ich war überrascht, wie sehr man doch ins kalte Wasser geworfen wird“, berichtet sie aus ihrer Zeit als Berufsanfängerin. In der Regel sollen sich die Einsteiger daher einfach an der Prüfung der Vorjahre orientieren. „Oftmals versteht man als Anfänger aber gar nicht wirklich, was im Vorjahr gemacht wurde. Man macht es dann einfach nach – aber mögliche Fehler aus dem Vorjahr erkennt man so natürlich nicht.“ Im schlimmsten Fall ziehen sich Fehler so jahrelang durch die Bilanzen.

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Junge Mitarbeiter in Prüfungsteams sind leichte Opfer

Unternehmen, die eine tiefergehende Prüfung vermeiden wollen, haben mit solchen unerfahrenen Mitarbeitern letztlich leichtes Spiel. Dabei muss es noch nicht einmal immer darum gehen, Betrug zu vertuschen. Oftmals sind die Mitarbeiter eines Unternehmens zum Jahresende hin schlicht selbst unter Zeitdruck und versuchen die lästigen Prüfer daher schnell abzuwimmeln.

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigen die Berichte eines ehemaligen Mitarbeiters aus dem Risikomanagement eines großen Konzerns, mit dem FINANCE gesprochen hat. „Jedes Jahr hat unser Abschlussprüfer neue Kollegen in unsere Abteilung geschickt – frisch von der Uni, die uns ganz offensichtlich fachlich überhaupt nicht Paroli bieten konnten, gleichzeitig aber hohen Zeitdruck hatten.“

„Man kann es den Leuten maximal unangenehm machen, etwas zu prüfen.“

Ex-Mitarbeiter aus dem Risikomanagement eines Konzerns

Es gebe viele Taktiken, um die jungen Assistenten nicht zu tief in die Themen blicken zu lassen, berichtet er, etwa zeitintensiven Fokus auf die positiven Aspekte legen oder mit Dokumenten überfluten. „Man kann es den Leuten maximal unangenehm machen, etwas zu prüfen, so dass sie keine Zeit mehr haben, um über den Tellerrand zu schauen oder tiefergehende Fragen zu stellen – und so eventuelle Unstimmigkeiten zu finden.“

Wenn Abschlussprüfer Angst vor Vorständen haben

Das kann vor allem dann zum Problem werden, wenn der Veröffentlichungstermin für den Abschlussbericht näher rückt. Dieser Termin darf nicht verschoben werden, das wäre ein schlechtes Signal an den Kapitalmarkt. „Da überlegt man es sich als Prüfer schon sehr genau, ob man noch kurz vor knapp weitere Dokumente anfordert oder tiefer bohrt – man will den Kunden eben nicht verprellen“, meint der junge Big-Four-Prüfungsassistent.

Das Selbstbewusstsein der Prüfer ist ein Knackpunkt, sagt daher ein erfahrener Wirtschaftsprüfer, der anonym bleiben möchte. „Manche haben Angst vor der Reaktion der Vorstände. Und vielleicht kann man eine Bilanzierungsart ja doch verargumentieren?“ Das kann fatal sein, wenn ein Vorstand betrügen will. „Womöglich merkt man in den Folgejahren, dass man einen Fehler in der Prüfung gemacht hat – doch es ist dann schwer zurückzurudern.“ Vielleicht möchte jemand Karriere machen oder es ist Firmenstrategie, dass man den Marktanteil bei der Prüfung prominenter Konzerne erhöhen will – da macht eine Fehlerveröffentlichung einen denkbar schlechten Eindruck, erzählt der Prüfer.

Sind die Big Four „das dümmste Oligopol der Welt“?

Viele Branchenbeobachter, mit denen FINANCE gesprochen hat, zeichnen das Bild eines Wirtschaftsprüfers, der unter enormem Zeitdruck und Budgetrestriktionen einen Spagat vollführen muss: Einerseits ein Unternehmen ordentlich zu prüfen, andererseits seinen Kunden nicht allzu sehr zu verärgern – das kann eine fatale Kombination sein. Die großen WP-Gesellschaften KPMG, EY, Deloitte und PwC sind daran nicht unschuldig, denn sie unterbieten sich im Preis, um an Mandate zu kommen. „Die Big Four sind das dümmste Oligopol der Welt“, drückt es ein Marktbeobachter aus.

Die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung haben durchaus ihre Berechtigung – doch die eigentlichen wunden Punkte adressieren sie nicht. Manche fordern daher eine Gebührenordnung, um das Preisdumping und damit einhergehende Budgetrestriktionen abzumildern. Andere gehen noch weiter und fordern, dass die Vergabe von Prüfmandaten durch eine zentrale Stelle geregelt wird, um einen möglichen Interessenskonflikt zu vermeiden.

Fakt ist aber auch, dass Bilanzskandale in der Größenordnung von Wirecard nur selten vorkommen. Ist die Prüfungsqualität in Summe also doch hoch? Der junge Prüfungsassistent, der sich inzwischen beruflich umorientiert, hat da eine andere, eher pessimistische These: „Oftmals ist die Integrität der meisten Kunden dafür verantwortlich, dass es wenige Bilanzskandale gibt – nicht die Gründlichkeit der Prüfer.“ Wenn ein Kunde betrügen wolle, könne er. „Es wird noch weitere Fälle geben“, lautet sein düsteres Fazit.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

Analysen und Interviews zu Bilanzskandalen, der Insolvenz von Wirecard oder zu der Arbeit der Big Four finden Sie auf unseren Themenseiten.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.