Nach Wirecard: Was, wenn Abschlussprüfer unbegrenzt haften?

Wie kann man die Qualität der Abschlussprüfung verbessern? Nach dem Bilanzskandal bei Wirecard steht diese Frage ganz oben auf der Agenda von Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität“ (FISG) meint er, eine Antwort darauf gefunden zu haben. In dem Regierungsentwurf, der Mitte April im Finanzausschuss beraten und dann womöglich schon verabschiedet wird, stehen zahlreiche Maßnahmen, mit denen die Branche der Wirtschaftsprüfer strenger reguliert werden soll. Die WP-Branche läuft gegen die geplanten Maßnahmen Sturm. Eine davon sorgt für besonders viel Aufregung: Der Wirtschaftsprüfer und seine Gesellschaft sollen bei Fehlern deutlich höher haften als bislang. Könnten so wirklich Bilanzskandale verhindert werden? Und welche Folgen hätte dieser Schritt für die Prüfqualität sowie die Marktverteilung innerhalb der Big Four und Next Ten? FISG-Entwurf: Wirtschaftsprüfer sollen unbegrenzt haften Bisher waren die WP-Gesellschaften in einer verhältnismäßig komfortablen Situation. Handeln Prüfer bei ihrer Arbeit leicht oder grob fahrlässig, müssen die Prüfer sowie ihre WP-Gesellschaften gegenüber einem kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie Finanzinstituten mit maximal 4 Millionen Euro haften. Bei einem Unternehmen, das nicht am Kapitalmarkt präsent ist, sogar nur mit 1 Million Euro. Nur bei Vorsatz gab es bisher keine Beschränkung – das galt auch bei billigendem Vorsatz, wenn Prüfer also wider besseren Wissens etwa einen uneingeschränkten Vermerk erteilen. Das soll sich laut FISG-Entwurf jetzt dramatisch ändern. Die Haftungsobergrenzen drohen deutlich angehoben zu werden: Bei der Prüfung von kapitalmarktorientierten Unternehmen auf 16 Millionen Euro, bei den übrigen auf 1,5 Millionen Euro. Nur bei Finanzinstituten bleibt es bei 4 Millionen Euro. Allerdings gilt diese Obergrenze jetzt auch nur noch bei leichter Fahrlässigkeit. Bei grober Fahrlässigkeit oder bei Vorsatz – hier wird nicht mehr unterschieden – haften Prüfer künftig voraussichtlich uneingeschränkt. Die härtere Bestrafung soll „die Qualität der Abschlussprüfung stärken und die erforderlichen Anreize für eine sorgfältige und gewissenhafte Prüfung setzen“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Allerdings setzt das neue Gesetz den Big Four und Next Ten womöglich ganz andere Anreize. Ziehen sich Next Ten aus Prüfungsgeschäft zurück? „Eine deutliche Verschärfung der Haftung des Wirtschaftsprüfers wird die Qualität der Abschlussprüfung nicht erhöhen“, ist sich Klaus-Peter Naumann, Sprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), sicher. „Vielmehr werden die vorgeschlagenen Änderungen die Konzentration im Prüfungsmarkt verstärken und vor allem kleinere und mittelständische Prüfungspraxen praktisch von der Durchführung von Abschlussprüfungen ausschließen.“ Tatsächlich unterscheiden die geplanten Haftungsregeln nicht nach der Größe des Mandats. So würde ein Prüfer, der ein großes Dax30-Mandat prüft und dafür beispielsweise 40 Millionen Euro Honorar erhält, genauso haften wie der Prüfer eines kapitalmarktorientierten Unternehmens, das diesem nur 500.000 Euro als Honorar zahlt – in beiden Fällen läge die Obergrenze bei 16 Millionen Euro, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz gar unbegrenzt. Um einen Schadensfall bei einem Mandat mit niedrigem Honorar finanziell wieder auszugleichen, bräuchten Prüfer in manchen Fällen viele Jahre – in Kombination mit der geplanten Regelung, das ein Prüferwechsel nach zehn Jahren erfolgen muss, dürfte in einigen Fällen diese Zeit dafür nicht mehr ausreichen. Allerdings geht dieses Szenario auch vom schlimmsten (Ausnahme-)Fall eines sehr hohen Schadens mit einem sehr niedrigen Honorar aus. Info Dieser Artikel ist der zweite in einer Reihe, der die Folgen des Wirecard-Gesetzes FISG auf die Prüferbranche behandelt. In der übernächsten Woche lesen Sie bei uns noch eine Analyse zu der geplanten stärkeren Trennung von Prüfung und Beratung. Wie sich die geplante verkürzte Prüferrotation auf den Markt auswirken könnten, lesen Sie hier. Wirtschaftsprüfer auf der Suche nach Versicherern Trotzdem steht die Frage im Raum, wie und ob sich ein Worst Case überhaupt noch versichern ließe. Während die Big-Four-Gesellschaften mit ihren Milliardenumsätzen einen Schadensfall wohl noch tragen könnten, ist das bei den Next-Ten-Gesellschaften mit Umsätzen von maximal ein paar hundert Millionen Euro schwieriger. „Wir sind mit den Versicherern im Gespräch“, berichtet etwa Rainer Grote, Partner bei der mittelständischen Prüf- und Beratungsgesellschaft RSM, die 2019 einen Umsatz von 78 Millionen Euro verbuchte. „Bei der Auftragsannahme werden wir dann noch stärker darauf achten, welches Risiko ein Mandat mit sich bringt.“ In eine ähnliche Richtung gehen auch die Überlegungen von Michael Häger, dem Vorstandsvorsitzenden von Warth & Klein Grant Thornton. „Für mittelständische Prüfgesellschaften würde die Prüfung von kapitalmarktorientierten Unternehmen zu risikoreich und teilweise nicht mehr attraktiv werden. Auch wir würden uns dann überlegen, ob wir dieses Geschäft noch machen wollen.“ Seine Gesellschaft setzte zuletzt 147 Millionen Euro um. Sollten sich kleinere Wirtschaftsprüfer tatsächlich aus dem Markt zurückziehen, würde das die Prüferkonzentration fördern. Viele Kritiker plädieren daher dafür, dass sich die Höhe der Haftung an der Größe der Prüfkonzerne und des Honorars orientieren soll. Wird Prüfern per se grobe Fahrlässigkeit unterstellt? Bei der ganzen Debatte um die vermeintlich zu hohen Haftungssummen darf man allerdings eines nicht vergessen: Haften muss man am Ende ja nur, wenn Fehler passieren. Wenig lassen die WP-Häuser aktuell darüber verlauten, wie sie Fehler im Prüfungsprozess in Zukunft effektiver minimieren wollen. „Allerdings gibt es nun mal ein Restrisiko, dass unabsichtlich Fehler passieren – und es kann dann nicht sein, dass das für den Prüfer existenzvernichtende Ausmaße annimmt“, entgegnet Naumann vom IDW. Er glaubt, dass gerade Wirtschaftsprüfern als Angehörige eines hochqualifizierten Berufs mit strengen Regeln schnell eine grobe Fahrlässigkeit unterstellt würde. „Es gibt ein Restrisiko, dass Fehler passieren“ Klaus-Peter Naumann, IDW-Sprecher Grobe und leichte Fahrlässigkeit sind nicht eindeutig definiert – sie hängen vom konkreten Einzelfall ab. Im Falle eines Fehlers muss ein Prüfer nachweisen, dass es sich nur um eine leichte Fahrlässigkeit gehandelt hat. Schon jetzt dokumentieren die WP-Gesellschaften den Prüfvorgang genau, auch um später nachzuweisen, was sie warum wie geprüft haben. Abschlussprüfung muss teurer werden „Wenn die Haftungsregeln wie laut FISG-Entwurf verändert werden, wird sich sie Arbeit der Wirtschaftsprüfer ändern. Es wird noch mehr Kontrollen geben, man wird noch stärker mit Checklisten arbeiten“, glaubt Rainer Grote von RSM. „Insgesamt könnte die Prüfung formeller und aufwendiger werden. Aber für diejenigen, die ihr Geschäft gewissenhaft betreiben, sollte das kein Problem sein.“ Die Konsequenz für CFOs: Die Abschlussprüfung würde wahrscheinlich auch teurer werden. Dumpingpreise, wie sie jetzt teilweise vorzufinden sind, dürften eine sorgfältige Prüfung erschweren – Zeit und Personal müssten schließlich knapp berechnet werden, damit sich das Mandat noch lohnt. Doch gerade bei komplexen Konzernstrukturen und Geschäftsmodellen sind Zeit und gutes Personal unabdingbar. Sollte das FISG wie geplant umgesetzt werden, werden Prüfer in strittigen Fällen wohl auch verstärkt mit einer Einschränkung oder gar einer Versagung des Testats drohen, wenn sie vom Zahlenwerk nicht vollständig überzeug sind, glauben manche. Ein solcher Schritt ist für den Prüfer das allerletzte Mittel – und auch das unbeliebteste. Die Krux: Ihm drohen in einem solchen Fall nicht nur der Verlust des Mandats, sondern womöglich auch noch Schadensklagen von Aktionären und Organen des Unternehmens, wenn der Aktienkurs abstürzt. Hätte eine höhere Haftung Wirecard verhindert? Doch genau dieser Konflikt könnte Schuld daran sein, dass Bilanzskandale nicht schnell genug aufgedeckt werden. Wie inzwischen bekannt wurde, hatte Wirecards Wirtschaftsprüfer EY spätestens seit Anfang 2019 nicht mehr an die Unschuld des Managements geglaubt, wie eine „Handelsblatt“-Auswertung von Mails und Protokollen zeigte. Um dubiose Vorgänge in Singapur aufzuklären, setzte EY sogar ein forensisches Team ein, doch das Management blockierte die Untersuchungen und lieferte Dokumente nicht rechtzeitig. Letztlich knickte EY ein und vergab ein uneingeschränktes Testat, obwohl die forensische Prüfung nicht abgeschlossen werden konnte. Hätte EY womöglich anders reagiert, wenn es eine unbegrenzte Haftung gegeben hätte? Auf finanzieller Seite musste EY selbst bei grober Fahrlässigkeit nur mit einer maximalen Haftung von 4 Millionen Euro rechnen. Zum Vergleich: Das Honorar, das Wirecard EY zuletzt gezahlt hatte, lag bei 2,4 Millionen Euro, in den Vorjahren ebenfalls bei einem Millionenbetrag. Bei einer Laufzeit des Mandats von elf Jahren sind 4 Millionen Euro Haftungssumme schnell wieder zurückverdient. Bei einer Haftung von 20 Millionen Euro oder gar einer unbegrenzten Haftung hätte EY vielleicht anders reagiert. julia.schmitt[at]finance-magazin.de Info Der Bilanzskandal bei Wirecard hat den deutschen Kapitalmarkt erschüttert – nun drohen Folgen für die Branche der Wirtschaftsprüfer. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unseren Themenseiten zu Wirecard, Big Four und Next Ten.

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