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Wie Kindheitstraumata die spätere CFO-Arbeit prägen

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Traumatische Kinderheitserlebnisse: Wie stark prägen sie das Handeln späterer Top-Manager? Die Forschung hat Hinweise gefunden. Foto: Lightfield Studios - stock.adobe.com
Traumatische Kinderheitserlebnisse: Wie stark prägen sie das Handeln späterer Top-Manager? Die Forschung hat Hinweise gefunden. Foto: Lightfield Studios - stock.adobe.com

Pandemie, Klimawandel und der Ukraine-Krieg prägen unser aktuelles Weltgeschehen eindrücklich und sorgen überall für große Betroffenheit. Ich möchte daher der Frage nachgehen, was diese zum Teil verstörenden und Leid bringenden Ereignisse mit Menschen machen – auch noch viele Jahre später. Dazu stelle ich Ihnen einige Arbeiten vor, die sich mit der Wirkung traumatischer Kindheitserlebnisse heutiger Top-Manager auf ihre Werte- und Präferenzsysteme und damit letztlich auch auf ihr unternehmerisches Entscheidungsverhalten beschäftigen. Die Erkenntnisse, die sich daraus ergeben, sind erstaunlich.

Die Jugend der beiden Apple-Chefs

Eine beachtliche Untersuchung zu diesem Thema wurde von Gennaro Bernile und Kollegen im renommierten „Journal of Finance“ im Jahr 2017 veröffentlicht: Die Autoren untersuchten, inwiefern sich das individuelle Risikoverhalten von Managern auf die in ihrer Kindheit erlebten Naturkatastrophen (zum Beispiel Erdbeben, Hurrikane, Hochwasser) zurückführen lässt.

Die Autoren präsentieren ein sehr anschauliches Beispiel zu Beginn ihres Artikels: Der aktuelle Apple-CEO Tim Cook ist in Mobile (Alabama) geboren und aufgewachsen. Im Alter zwischen 5 und 15 Jahren war er insgesamt 57 Naturkatastrophen mit durchschnittlich 1,15 Todesopfern ausgesetzt. Im Gegensatz dazu hat der frühere Apple-CEO Steve Jobs, der in San Francisco (Kalifornien) aufgewachsen ist, vergleichsweise weniger, nämlich nur 39 Naturkatastrophen erlebt, bei denen allerdings im Durchschnitt 31,7 Menschen den Tod fanden.

Frühe Katastrophen prägen die Risikobereitschaft

Die Autoren argumentieren, dass das Ausmaß und die Fatalität der Katastrophen einen signifikanten Einfluss auf die Risikoneigung der Manager haben. Interessanterweise können die Autoren einen nicht-linearen Zusammenhang nachweisen, der einem umgekehrten U entspricht (Fatalität der erlebten Katastrophen auf der x-Achse, individuelle Risikoneigung auf der y-Achse). Manager, die Katastrophen mit wenigen Opfern erlebt haben, entwickeln eine größere Risikotoleranz als Manager, die entweder keinen oder deutlich tödlicheren Katastrophen ausgesetzt waren. Die Risikoneigung wurde dabei entlang unterschiedlicher Dimensionen wie Verschuldungsgrad oder M&A-Aktivität gemessen.

Mit ähnlichen Daten konnten Don O’Sullivan und Kollegen kürzlich im „Strategic Management Journal“ zeigen, dass sich diese traumatischen Ereignisse nicht nur auf die Risikoneigung, sondern auch auf die generelle Wertebasis von Managern auswirken. Die Autoren fanden einen positiven Zusammenhang zwischen den Katastrophen-Erfahrungen, die Manager in ihrer Kindheit gesammelt haben, und der CSR-Performance der Unternehmen, die sie heute leiten.

Sie führen dies auf das durch die negativen Erlebnisse ausgelöste Bedürfnis zurück, starke Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, und – damit verbunden – auf ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein für andere. Sie konnten dabei zeigen, dass der CSR-Effekt in erster Linie durch das Vermeiden von sozial unverantwortlichem Verhalten getrieben wird und umso größer ausfällt, je früher in ihrer Kindheit die Manager diese Ereignisse erlebt haben und je intensiver diese waren.

Chinesische Manager, die als Kinder die große Hungersnot miterlebt haben, treffen konservativere Entscheidungen.

Erleben einer Hungersnot und spätere Manager-Resilienz

Während die beiden gerade erwähnten Studien den Fokus auf CEOs in US-amerikanischen Unternehmen legten, gibt es auch entsprechende Untersuchungen in anderen Teilen der Welt. Gerade in der jüngeren Vergangenheit wurden mehrere Artikel veröffentlicht, die sich beispielsweise mit dem Einfluss der großen Hungersnot in China befassen. Ende der fünfziger Jahre litt das chinesische Volk unter einer extremen Hungersnot, in deren Folge nach offiziellen Angaben aus Peking etwa 15 Millionen Chinesen starben. Andere Schätzungen gehen von bis zu 30 Millionen Hungerstoten aus.

Diese nationale Tragödie steht auch im Mittelpunkt der Studie von Xunan Feng und Anders C. Johansson, die im Februar 2018 im „Journal of Corporate Finance“ veröffentlicht wurde. Die Autoren untersuchten die Board Chairs chinesischer Unternehmen, die an den Börsen in Shenzhen oder Shanghai mit sogenannten A-Shares gehandelt werden.

Die Manager, die die große Hungersnot im Alter zwischen 6 und 18 Jahren miterlebt hatten, treffen der Studie zufolge deutlich konservativere Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen. Sie halten auch größere Barbestände und verhalten sich mit einer wesentlich geringeren Wahrscheinlichkeit unethisch. Selbst ein Performance-Effekt konnte nachgewiesen werden: Unternehmen, deren Manager als Kind oder Jugendlicher die Hungersnot miterlebten, zeigen eine bessere Performance unter widrigen makroökonomischen Bedingungen.

Die große Frage nach dem Warum

Mit großer Kreativität und viel Fleiß bei der Datenerhebung haben diese Studien unser Verständnis über die Wirkung von prägenden Kindheitserlebnissen auf heutige Managerentscheidungen maßgeblich erweitert. Die theoretischen Fundamente sind teilweise aber noch ausbaufähig, denn auf die „Warum-Frage“ (Warum gibt es diesen Effekt?) gibt es nicht immer eine zufriedenstellende Antwort.

Eine Ausnahme bildet die bereits recht ausdifferenzierte „Post-traumatic growth theory“, die auch in der vorgestellten Studie von O’Sullivan und Kollegen als Bezugsrahmen diente. Demnach können traumatische Erlebnisse zu einer komplexeren und robusteren Selbstregulierung führen. Mit anderen Worten: Traumatische Erlebnisse, die die fundamentalen Annahmen von Betroffenen auf das Grundsätzlichste in Frage gestellt haben, können unerwartete – häufig positive – Begleiterscheinungen mit sich bringen. So wurde beispielsweise der frühere SAP-CEO Bill McDermott nach seinem tragischen Unfall, bei dem er ein Auge verlor, vor einigen Jahren im „Manager Magazin“ mit den Worten zitiert: „Mein Unfall hat mein Leben besser gemacht. … Mein Unfall hat mir so viel Kraft gegeben, so viel Entschlossenheit und so viel Leidenschaft.“

Wenngleich die „Post-traumatic growth theory“ grundsätzlich Hoffnung gibt, dass Menschen Krisensituation nicht nur meistern, sondern aus ihnen auch gestärkt hervorgehen können, soll hier nichts relativiert oder gar beschönigt werden. Traumatische Erlebnisse können ebenso zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen.

redaktion[at]finance-magazin.de

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