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Bayer will Monsanto kaufen – die FINANCE-Dealanalyse

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Die geplante Übernahme von Monsanto ändert für Bayer alles – die FINANCE-Dealanalyse.
Bayer

Jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch: Bayer bietet 62 Milliarden US-Dollar für den US-Agrarchemiekonzern Monsanto. Kommt der Deal durch, wäre dies der größte Zukauf, den je ein deutsches Unternehmen im Ausland gewagt hat – noch vor der „Hochzeit im Himmel“ zwischen Daimler und Chrysler im Jahr 1998. In der globalen Liste der größten M&A-Deals aller Zeiten käme Bayer-Monsanto laut einer Analyse von Dealogic auf Rang 26. Der gebotene Preis von 122 Dollar pro Monsanto-Aktie entspricht Bayer zufolge einer Übernahmeprämie von 37 Prozent und einem Bewertungs-Multiple von 15,8x Ebitda (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen).

Das liegt deutlich über der aktuellen Bewertung Bayers am Kapitalmarkt (rund 10x Ebitda inklusive Pensionsverpflichtungen), ist aber wesentlich weniger, als Bayer sich vor zwei Jahren das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten des US-Pharmakonzerns Merck kosten ließ. Damals legte Bayer über 20x Ebitda auf den Tisch. Trotzdem mögen die Investoren den Deal nicht. Die Bayer-Aktie ist heute Vormittag um weitere 5 Prozent eingebrochen. Dadurch summiert sich der Kursverlust seit Mitte April, als die Gespräche mit Monsanto bekannt wurden, auf über 20 Prozent. Die Aktie erreicht den tiefsten Stand seit Oktober 2013.

Auch die Bondinvestoren reagieren negativ: Alle drei ausstehenden Hybridanleihen von Bayer haben um über 2 Prozent nachgegeben. Mit Kursen zwischen 91 und 98 Prozent notieren sie nun allesamt unter ihrem Nennwert. Bayer-Chef Werner Baumann räumt Handlungsbedarf ein: „Der Markt versteht den Deal noch nicht. Wir müssen jetzt Überzeugungsarbeit leisten“, sagte er am Montag Vormittag in einer Telefonkonferenz.

Der Versuch, Monsanto zu übernehmen, hat aber noch viele weitere Tücken. Finanzierung, Rating, Portfolio, M&A-Strategie – FINANCE zeigt die wichtigsten Entwicklungen, die der geplante Megadeal auslöst.

Der Deal: Große Erwartungen, aber noch keine Due Diligence

Das Bayer-Management verteidigt das M&A-Vorhaben vehement gegen die heftige Negativreaktion des Kapitalmarkts: Baumann bezeichnet Monsanto als „perfect match“. Weder regional noch beim Produktportfolio gebe es nennenswerte Überschneidungen zwischen Bayer und Monsanto. „Die Kombination aus Saatgut und Pflanzenschutz ist die Siegerformel in unserer Industrie“, glaubt Baumann. Allerdings hat Bayer noch keine Due Diligence machen können und stellt seine Analysen und Berechnungen daher unter Vorbehalt.

Der erst seit wenigen Wochen amtierende neue Konzernchef gewährte auch Einblick in die M&A-Strategie des Konzerns. Fortlaufend habe Bayer in allen relevanten Geschäftsfeldern zahlreiche Zukaufsziele auf dem Radar. „Monsanto war von allen M&A-Projekten die beste Option, der Deal erfüllt alle unsere Kriterien.“ Die rechtlichen Risiken im Umfeld von Monsanto – einem der umstrittensten Konzerne der Welt – seien Bayer „bekannt und bewusst“. Auch bezüglich möglicher Kartellrisiken zeigte sich Baumann zuversichtlich, dass Bayer für die Übernahme grünes Licht bekommt.

Für die Aktionäre soll die Monsanto-Übernahme wertsteigernd sein, rechnet Bayer-CFO Johannes Dietsch vor: 1,5 Milliarden Dollar an Synergieeffekten plant Bayer ein, sie sollen ab dem dritten Jahr voll zu Buche schlagen. Der Gewinn pro Aktie soll schon im ersten Jahr nach der Übernahme im mittleren einstelligen Prozentbereich von der Einbeziehung Monsantos profitieren. Analysten zweifeln diese Rechnung allerdings an.  

Finanzierung: Monster-Kapitalerhöhung über 15 Milliarden Euro

Für Skepsis sorgen vor allem die enormen Finanzierungserfordernisse durch den M&A-Deal. Sie suchen in der deutschen Industriegeschichte ihresgleichen. Drei Viertel des Kaufpreises will Bayer fremdfinanzieren, das wären umgerechnet rund 40 Milliarden Euro. Dafür stehen die beiden Banken Credit Suisse und Bank of America Merrill Lynch an Bayers Seite. Die BofA hatte auch schon beim Merck-OTC-Deal die Brückenfinanzierung mit arrangiert. Eine verbindliche Brückenfinanzierung kann Bayer jetzt aber noch nicht vorweisen.

Rund 25 Prozent der Kaufsumme will CFO Dietsch über eine Kapitalerhöhung finanzieren. Dafür müsste Bayer neue Aktien im Volumen von knapp 15 Milliarden Euro am Markt platzieren – eine der größten Kapitalerhöhungen, die es in Deutschland je gegeben hat. Sie entspräche mehr als einem Fünftel der aktuellen Marktkapitalisierung Bayers von knapp 70 Milliarden Euro.

Der Kurssturz, den der Rückzug vieler Bayer-Aktionäre ausgelöst hat, macht die geplante Kapitalerhöhung aber zu einer schweren Bürde, denn jetzt muss Bayer fast 20 Prozent mehr Aktien ausgeben, als vor vier Wochen nötig gewesen wären, um die erforderlichen 15 Milliarden Euro zu erreichen.

Die Skeptiker unter den Analysten haben bereits Modelle veröffentlicht, die zeigen, dass die Monsanto-Übernahme jetzt schon für die Bayer-Aktionäre wertvernichtend sei. Jeder weitere Kursverlust würde den Schaden noch größer machen, weil die Anzahl der neu auszugebenden Aktien noch weiter ansteigen würde. Dietsch weist diese Kalkulationen zurück und besteht darauf, dass ein Monsanto-Kauf auch auf voll verwässerter Basis wertschaffend sei. 

Rating: Monsanto-Deal macht Bayer-Hybridanleihen zu Ramsch

Das aktuelle Rating von A- würde Bayer mit Sicherheit verlieren. Laut Dietsch hat die Ratingagentur S&P nach einer vorläufigen Analyse des M&A-Deals und der geplanten Finanzierungsstruktur mitgeteilt, dass das Bayer-Rating durch den Monsanto-Kauf „um nicht mehr als zwei Notches auf BBB fallen würde“. In Dietschs Worten klang jedoch durch, dass die S&P-Projektion eher optimistisch ist. Auch ein Downgrade um drei Notches auf BBB- wäre insofern keine große Überraschung. Langfristig bekennt sich Bayer dazu, wieder ein A-Rating anzustreben.

Doch auch schon ein Downgrade um zwei Notches hätte zur Folge, dass die drei Hybridanleihen, die Bayer 2014 und 2015 im Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Euro zur Refinanzierung der Merck-OTC-Übernahme ausgegeben hat, ihren Investmentgrade-Status verlieren würden. Trotzdem erwägt Dietsch, auch zur Refinanzierung der Monsanto-Übernahme erneut Hybridanleihen auszugeben.

Klar ist, dass ein Kauf von Monsanto den Leverage von Bayer explodieren ließe. Die Nettoverschuldung, die Ende des ersten Quartals 2016 bei 16,3 Milliarden Euro lag, würde auf 40 bis 50 Milliarden Euro ansteigen. Die Hybridanleihen, welche die Ratingagenturen zur Hälfte dem Eigenkapital zurechnen, sind in diesen Zahlen bereits voll mit eingerechnet. Hinzu kämen noch die offenen Pensionslasten des Konzerns von derzeit 13,3 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: 2015 erwirtschaftete Bayer ein bereinigtes Ebitda von 10,3 Milliarden Euro. Inklusive der Erträge und der Schulden, die durch Monsanto neu hinzu kämen, läge der Pro-forma-Leverage laut CFO Dietsch bei über 4x Ebitda. Bayer habe aber bereits mehrfach bewiesen, dass der Konzern in der Lage sei, sich nach großen Übernahmen schnell zu entschulden, argumentiert der auch erst seit zwei Jahren amtierende CFO. So sei auch nach der Übernahme von Schering im Jahr 2006 der Leverage auf über 4x Ebitda angestiegen, danach aber schnell zurückgeführt worden.   

Investor Relations: Bayer-Chef Baumann verstört die Investoren

Das Bayer-Management geht den größten Deal der Konzerngeschichte mit einem großen Rucksack auf dem Rücken an: „Für die meisten unserer größeren Investoren war der Deal eine Überraschung“, gibt Baumann zu.

Dafür ist der vormalige Bayer-CFO in erster Linie selbst verantwortlich, denn zwei Versprechen, die er dem Kapitalmarkt gab, hat Baumann mit der heutigen Mitteilung einkassiert: Erstens erklärte er noch als CFO nach dem Merck-OTC-Kauf, dass nun die Schuldensenkung im Vordergrund stehe. Weit vorangekommen ist Bayer dabei freilich noch nicht.

Zweitens hatte Baumann erst vor wenigen Wochen anlässlich seiner Berufung zum Konzernchef versichert, dass es mit ihm an der Spitze nur eine „Evolution“ Bayers geben werde und „keine Revolution“. Währenddessen brachte er die mit Abstand größte und umstrittenste Übernahme der Konzerngeschichte auf den Weg – und hielt auch dann noch an ihr fest, als die Marktreaktion auf die ersten Merger-Gerüchte stark negativ ausfiel. Jetzt will die Bayer-Führung auf Roadshow gehen – die Gespräche werden nicht einfach werden.  

Konzernstrategie: Bayer wird ein gefesselter Riese

Auf das Konzernportfolio von Bayer hätte eine Monsanto-Übernahme großen Einfluss – und damit auch auf die künftige M&A-Strategie. Nach einer Übernahme stünde der Dax-Konzern auf zwei gleich großen Säulen: Healthcare und Crop Science. Der Umsatz wüchse von 46 auf 60 Milliarden Euro, global breit diversifiziert. Der Einfluss einzelner Pharma-Projekte auf den Gesamtkonzern würde schwinden. All dies mögen Ratingagenturen und Debt-Investoren, denn es verschafft Stabilität. Beim Chemiekonzern Evonik hat ein zwar teurer, aber risikosenkender M&A-Deal kürzlich sogar zu einer Rating-Hochstufung geführt. 

Doch anders als Evonik wäre Bayer ein hoch verschuldeter, gefesselter Riese, wenn Monsanto erst einmal geschluckt ist. Baumann selbst räumt ein, dass größere Akquisitionen im Healthcare-Bereich bis auf weiteres nicht möglich seien. Das sei nicht schlimm, argumentiert er, da es dort derzeit ohnehin keine M&A-Targets mit attraktiver Bewertung gebe. Stattdessen setzt Bayer jetzt auf die Forschungspipeline, um im Pharmageschäft zu wachsen und das Produktportfolio zu erneuern. Keine Frage: Die Opportunitätskosten des Monsanto-Kaufs sind signifikant.

Allerdings sorgt die geplante Stärkung des Pflanzenschutzbereichs dafür, dass die Risiken des Pharmageschäfts nun in das Blickfeld der Investoren rücken:  Bayer wäre auf den starken Healthcare-Cashflow angewiesen, um den Schuldenberg nach dem Zukauf schnell wieder abzutragen. Ein Pharmadebakel wie der Rückruf des Blutdrucksenkers Lipobay in den frühen 2000er-Jahren, der Bayer insgesamt fast 10 Milliarden Euro an Schadensersatzzahlungen und entgangenen Gewinnen gekostet hat, könnte den Konzern nach einer Monsanto-Übernahme in eine gefährliche Lage bringen.

Gleichzeitig kämen mit Monsanto neue Rechtsrisiken nach Leverkusen, denn die Methoden des US-Konzerns insbesondere im Kerngeschäft mit genmanipuliertem Saatgut sind hochgradig umstritten.

Immerhin genießen die wichtigsten Bayer-Medikamente wie Xarelto (Schlaganfälle) und Eylea (Augenerkrankungen) noch viele Jahre Patentschutz. Die Umsätze dieser Arzneien steigen rasant, während die Marketingkosten tendenziell zurückgehen werden. Der Cashflow des Healthcare-Bereichs dürfte daher zumindest noch für einige Jahre dynamisch wachsen – zumindest noch so lange, wie sich Bayer in der Phase höchster Verschuldung befindet. 

Weitere M&A-Deals von Bayer: Covestro, Animal Health, Monsanto 2.0?

Der geplante Monsanto-Kauf wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch das bestehende Bayer-Portfolio in Bewegung bringen. Der bislang „mittelfristig“ angestrebte Komplettausstieg aus der seit kurzem börsennotierten Chemietochter Covestro wird nun forciert werden. Bayer könnte daraus 5 bis 6 Milliarden Euro erlösen. Bis die Trennung abgeschlossen ist, dürfte der erhebliche Aktienüberhang aber auf dem Covestro-Aktienkurs lasten.

Baumann und Dietsch behaupten zwar, dass für die Refinanzierung der Monsanto-Übernahme keine weiteren Konzernteile außer Covestro verkauft werden müssen. Doch ihr gleichzeitiges Versprechen eines schnellen Schuldenabbaus relativiert diese Aussage.

Es erscheint sicher, dass Bayer zumindest ernsthaft einen Verkauf seines Tierarzneigeschäfts prüfen wird. Dieses Business ist zum Randbereich geworden, und für Zukäufe fehlt Bayer jetzt die Kraft. Nach einer Konsolidierung Monsantos würde Animal Health nur noch rund 3 Prozent zu Umsatz und Gewinn von Bayer beitragen. Animal Health erwirtschaftete 2015 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro und ein Ebitda von 348 Millionen Euro. Auf einen Verkaufserlös von rund 4 Milliarden Euro könnte Bayer hoffen. Angesichts eines Schuldenbergs von 50 bis 60 Milliarden Euro (inklusive Pensionslasten) wäre dies aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Eine große Unbekannte ist auch die Dealunsicherheit bei Monsanto. Es ist vorstellbar, dass die gebotenen 62 Milliarden Dollar nicht reichen – entweder, weil sich das Monsanto-Management vehement gegen eine Übernahme wehrt und einen höheren Preis fordert, oder weil ein weiterer Bieter auftaucht. In der aufgeheizten M&A-Atmosphäre im Pflanzenschutzmarkt ist eine Übernahmeschlacht um Monsanto nicht ausgeschlossen. Die Investmentbank Bernstein etwa glaubt, dass Bayer unter 135 Dollar pro Aktie bei Monsanto nicht zum Zuge kommen wird.  

Info

Die entscheidenden Personen hinter dem Monsanto-Deal sind Bayer-Chef Werner Baumann und sein CFO Johannes Dietsch. Mehr persönliche Infos über die beiden Bayer-Manager finden Sie in den FINANCE-Köpfe-Profilen von Werner Baumann und Johannes Dietsch.