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M&A-Chef von TÜV Nord: „Wollen nicht ins fallende Messer greifen“

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Andreas Homola, M&A-Chef beim TÜV Nord, musste während Corona gleich zwei M&A-Projekte im Griff behalten.
TÜV Nord/Regine Rabanus

Herr Homola, für dieses Jahr standen beim TÜV Nord unter anderem eine Übernahme sowie die Integration eines kurz zuvor übernommenen Unternehmens an. Dann kam Corona. 2020 hatten Sie sich sicherlich anders vorgestellt.

In der Tat: Für die geplante Übernahme haben wir Ende 2019 die Gespräche aufgenommen, Anfang dieses Jahres folgten erste Treffen mit der Eigentümerfamilie, bei denen wir die Struktur des Deals diskutiert haben. Geplant war, dass wir noch den Jahresabschluss 2019 abwarten, im Anschluss daran mit der Due Diligence beginnen und spätestens im Mai oder Juni hinter die Transaktion einen Haken setzen.

Wie weit waren Sie mit den Verhandlungen, als das Coronavirus auch hier in Deutschland ankam?

Die Struktur des M&A-Deals stand bereits. Sie sieht vor, dass die Eigentümer des Targets, die gleichzeitig die Geschäftsführer sind, vorerst an Bord bleiben. Wir haben uns darauf geeinigt, zunächst 70 Prozent der Anteile zu erwerben und danach für drei Jahre in einem Joint-Venture zusammenzuarbeiten. Nach Ablauf dieser drei Jahre wollen wir das Unternehmen komplett übernehmen.

Wieso haben Sie sich für diese Transaktionsstruktur entschieden?

Das Target hat seinen Sitz in Südeuropa, wo wir mit bestimmten Services noch nicht vertreten sind. Daher brauchen wir jemanden mit Fachexpertise, der uns vor Ort unterstützt – und vor allem die Landessprache spricht.

TÜV Nord musste Deal wegen Corona auf Eis legen

Und wie hat Corona Ihren M&A-Plan getroffen?

Die Corona-Pandemie hat uns für die Schwachpunkte der Transaktion sensibilisiert. Parallel stoppte unser Konzern generell alle Transaktionen. Lediglich für Transaktionen im fortgeschrittenen Stadium wurde noch Geld bereitgestellt. Aus diesen Gründen haben wir den geplanten Deal erst einmal auf Eis gelegt.

Welche Schwachpunkte haben Sie identifiziert?

Zum einen ist das Zielunternehmen im vergangenen Jahr besonders stark gewachsen. Das bedeutete, dass die Übernahme verhältnismäßig teuer geworden wäre. Andererseits sahen wir kein großes Wachstumspotential mehr und hofften eher auf Synergien mit unserem eigenen Geschäft. Hinzu kommt: Das Unternehmen ist im langfristigen Projektgeschäft unterwegs – mögliche Gewinne und Synergien werden nicht direkt wirksam.

„Unser Konzern stoppte alle Transaktionen, nur für Deals im fortgeschrittenen Stadium wurde noch Geld bereitgestellt.“ 

Andreas Homola, M&A-Chef, TÜV Nord

Das klingt nach keinem guten Deal.

Die Übernahme ist für uns attraktiv, weil wir einen komplett neuen Markt erschließen. Zudem ist die Akquisition langfristig angelegt. Wir rechnen also eher damit, dass sich die Synergien und Vorteile später voll entfalten. Das war für uns auch der Anlass, die Verhandlungen nach der großen Corona-Welle wieder aufzunehmen. Die erwähnten Punkte möchten wir aber in den weiteren Verhandlungen abbilden – auch weil niemand abschätzen kann, wie lange die Krise uns noch beschäftigt. Wir wollen definitiv nicht ins fallende Messer greifen.

Info

Der TÜV Nord prüft und zertifiziert hauptsächlich in den Bereichen Industrie, Automobil, Personal und Bildung und erwirtschaftete im Jahr 2018 einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) lag bei 80,2 Millionen Euro. Die Konzernzentrale hat ihren Sitz in Hannover. Insgesamt beschäftigt der TÜV Nord rund 10.700 Mitarbeiter.

TÜV Nord setzt auf Joint-Ventures und Earn-outs

Wie sah Ihre Lösung aus?

Unser Vorschlag war eine Earn-out-Struktur: Für den Mehrheitsanteil wollten wir einen Kaufpreis bezahlen, der sich auf Basis des Ebits der vergangenen zwei bis drei Jahre und dem entsprechenden Multiple errechnet. Der Kaufpreis für die restlichen Anteile wollten wir dann drei Jahre später nach demselben Modell berechnen – auf Basis des in dieser Zeit erzielten Durchschnitts-Ebits.

Das macht den ganzen Deal schwer kalkulierbar – für einen ziemlich langen Zeitraum.

Der Vorteil liegt darin, dass wir den Verkäufer an einem Teil unseres Risikos beteiligen und einen Anreiz schaffen, auch in der Zukunft gut zu wirtschaften! Wir müssen dann zwar mehr bezahlen, profitieren aber auch davon. Umgekehrt ist der Kaufpreis niedriger, wenn das Ebit sinken sollte.

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Ich halte Joint-Ventures und Earn-out-Strukturen grundsätzlich für charmante Möglichkeiten, um Schwachpunkte oder Risiken bei Zielunternehmen zu adressieren. Sie eignen sich besonders, wenn man neue Branchen, Märkte oder Produktgruppen erschließen möchte und dafür noch etwas Unterstützung vom Management des Targets benötigt. Auch in Post-Corona-Zeiten werden wir häufiger solche alternativen Deal-Strukturen in Erwägung ziehen.

Corona durchkreuzte Post-Merger-Integration

Als wären Verhandlungen während Corona noch nicht genug, haben Sie in der Hochphase der Pandemie auch noch eine andere Firma integrieren müssen. Wie lief das?

Direkt nach dem Signing im August 2019 haben wir mit der Vorbereitung der Post-Merger-Integration (PMI) begonnen. Dazu gehörte unter anderem die Umstellung des Financial Reportings, diesen Prozess haben wir bereits abgeschlossen. Nach dem Closing im Dezember war das Zielunternehmen komplett eigenständig betriebsbereit. Ab Januar 2020 wollten wir dann mit der PMI fortfahren, hatten erste Termine geplant. Im März mussten wir die PMI dann wegen Corona stoppen.

Wo ergaben sich die größten Hindernisse durch den Lockdown?

Beim Bündeln von Services und Vertriebsprozessen sowie bei Cross-Selling-Maßnahmen standen wir noch am Anfang, als wir die Prozesse anhalten mussten. Schnell wurde uns klar: Die Synergie- und Vertriebspotentiale für das zweite Quartal sind so gut wie verloren. Besorgt hat uns, dass wir die Integration der Mitarbeitenden aufschieben mussten. Die Bindung und Zufriedenheit der vielen hochqualifizierten Fachkräfte gehört zu unserer Konzernkultur und kann gar nicht noch genug eingeschätzt werden. Doch zum Glück waren wir gut vorbereitet.

„Schnell wurde uns klar: Die Synergie- und Vertriebspotentiale für das zweite Quartal sind so gut wie verloren.“

Andreas Homola

So plant Andreas Homola die PMI

Wie genau?

Wir sind nach „Arbeitspaketen“ vorgegangen: Im Projektplan haben wir unterschiedliche Aufgaben nach Themengebieten gebündelt. Dann haben wir uns die Themengebiete angeschaut, Ziele definiert und diese nach dem Grad der Integration geordnet. Dafür haben wir uns gefragt, welche Leistungen und Strukturen des Targets wir übernehmen wollen und welche wir austauschen müssen. Die fertigen Arbeitspakete haben wir dann nach Priorität und ihren jeweiligen Deadlines geordnet und zuletzt je nach Komplexität der Aufgabe nochmal individuelle Wochen- und Monatspläne erstellt.

Haben Sie ein Beispiel für ein solches Arbeitspaket?

Ein für uns wichtiger Bestandteil ist die schon genannte komplette Integration der Beschäftigten. Wir wollten sicherstellen, dass alle neuen Mitarbeitenden sich bei uns wohlfühlen und wissen, wen genau sie bei Problemen ansprechen können. Dieser Aspekt hat hohe Priorität, ist aber zeitlich nicht an eine harte Deadline gebunden. Für die Umsetzung wollten wir uns mit den Mitarbeitenden und den relevanten Ansprechpartnern im Konzern in den folgenden Wochen treffen und ihnen so den Einstieg in unseren Konzern erleichtern. In solchen Paketen haben wir alle PMI-Aufgaben strukturiert und geplant.

Wie maßgeblich war die Vorbereitung dafür, dass Sie die Post-Merger-Integration trotz Corona vorantreiben konnten?

Wir hatten wir jederzeit einen genauen Überblick über alle Aufgaben und deren aktuellen Stand sowie Verzögerungen im Projektplan. Außerdem hat der Plan den Vorteil, dass wir verschiedene Aufgaben, die zum Beispiel gut von zu Hause aus zu erledigen sind, vorziehen konnten. Ohne die gute Vorbereitung hätte sich unser PMI-Plan um weit mehr als drei bis sechs Monate nach hinten verschoben.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste für eine erfolgreiche PMI?

Entscheidend ist die Kommunikation. Alle Beteiligten – das Management, die Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten – verbinden mit einer Transaktion unterschiedliche Erwartungen, Wünsche und Ängste. Kluges Erwartungsmanagement ist essentiell, um alle Parteien ins Boot zu holen. Außerdem sollte man sich nie darauf verlassen, dass alles schon irgendwie gutgehen wird.

olivia.harder[at]finance-magazin.de

„Ohne die gute Vorbereitung hätte sich unser PMI-Plan um weit mehr als drei bis sechs Monate nach hinten verschoben.“

Andreas Homola

Info

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Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE sowie Chefin vom Dienst bei FINANCE-Online und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.