Die Hintergründe zum Bilanzfehler beim BVB

Am 3. August veröffentlichte die Finanzaufsicht Bafin das Ergebnis einer Prüfung, wonach der gebilligte Konzernabschluss der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA, auch bekannt als Profi-Mannschaft des Fußballklubs BVB, zum 30. Juni 2018 fehlerhaft war. Demnach wurden im Konzernabschluss 2017/18 Umsatzerlöse um 223 Millionen Euro, oder auch 41,6 Prozent, zu hoch ausgewiesen, weil das Unternehmen erhaltene Transferzahlungen aus dem Transfer von Fußballspielern als Umsatzerlöse erfasst hatte. Dies sei ein Verstoß gegen die International Accounting Standard-Regel 38.113 gewesen, monierte die Bafin. Denn danach dürfen weder die Transferzahlungen (also die Bruttoveräußerungserlöse) noch die Veräußerungsgewinne (also die Bruttotransferzahlungen abzüglich der entstandenen Transferkosten und des Restbuchwertes des immateriellen Vermögenswertes) als Umsatz ausgewiesen werden. Stattdessen ist eine erfolgswirksame Behandlung der Transfereinnahmen zwingend erforderlich. Als Konsequenz dieser fehlerhaften Verbuchung hat der BVB im gerügten Konzernabschluss auch den Cashflow aus operativer Tätigkeit um 187 Millionen Euro zu hoch und den Cashflow aus Investitionstätigkeit um ebendiesen Betrag zu niedrig ausgewiesen. BVB sah Transfererlöse als Geschäftsmodell Wir begeben uns kurz in die Untiefen der Bilanzierungsrichtlinien, da diese möglicherweise auch IFRS-Versierten unter Ihnen nicht geläufig sind. Wechselt ein Profifußballspieler während der Vertragslaufzeit den Verein, wird für gewöhnlich eine Transferzahlung an den abgebenden Verein fällig. Diese ist insbesondere von der Qualität des Spielers, seinen Spieleinsätzen und der Restlaufzeit des Vertrags abhängig und entschädigt den abgebenden Verein für die Freistellung des Spielers von seinem Arbeitsvertrag. Formal dokumentiert wird der Wechsel des Arbeitgebers, indem der erwerbende Verein den Spieler in einem elektronischen Transfersystem registriert und anschließend das Registrierungsrecht in seiner Bilanz als immateriellen Vermögenswert nach IAS 38 aktiviert, während der abgebende Verein den Spieler aus dem elektronischen Transfersystem löscht und als immateriellen Vermögensgegenstand aus der Bilanz bucht. Formal verkauft ein Verein den Spieler nicht, sondern er gibt das Registrierungsrecht ab. Weil der abgebende Verein damit formal einen Spieler nicht verkauft, sondern „lediglich“ für die Aufgabe des Registrierungsrechts kompensiert wird, ist die Abgabe eines Spielers ebenfalls den Regelungen des IAS 38 zuzuordnen, da der Verkauf sämtliche Belange immaterieller Vermögenswerte umfasst. Laut IAS 38 ist in diesem Fall die Differenz zwischen der erhaltenen Transferzahlung, abzüglich entstandener Kosten, und dem Restbuchwert des abgehenden Registrierungsrechts in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen. Und zwar entweder als sonstiger betrieblicher Ertrag, sofern sich ein positiver Saldo ergibt, oder als sonstiger betrieblicher Aufwand, falls ein Verein es im jetzigen Umfeld geschafft hat, einen negativen Saldo zu erzielen. Folgerichtig sind die Einzahlungen aus dem Transfer als Cashflow aus Investitionstätigkeit zu verbuchen. IFRIC sah keinen Anpassungsbedarf Haben Sie noch etwas Geduld, wir kommen gleich zum BVB zurück. Obwohl die Regelungen des IAS 38 für immaterielle Vermögensgegenstände eindeutig sind, hat das IFRS Interpretations Committee (IFRIC), das im Auftrag des International Accounting Standards Board (IASB) für die Beantwortung von Fragen zur Anwendung der Rechnungslegungsstandards zuständig ist, in seiner Sitzung im November 2019 auf Anfrage eines namentlich nicht genannten Fußballvereins den Spezialfall von Spielertransfers erörtert. Aus den öffentlichen Unterlagen der IFRIC geht hervor, dass die breite Mehrheit der Mitglieder keinen solchen Spezialfall erkennen wollte. Laut IFRIC stellten die IFRS-Standards eine adäquate Regelungsbasis für die Erfassung von Spielertransferzahlungen bereit. Einen gesonderten Regelungsbedarf gäbe es nicht. Damit sind Spielertransfers wie andere immaterielle Wirtschaftsgüter zu behandeln. Alles zum Thema Fußball-Finanzen Die Finanzen von Fußballvereinen sind ein eigenes kompliziertes Spielfeld, das kaum jemand versteht. FINANCE analysiert regelmäßig die Finanzkapriolen und -manöver diverser Klubs. Mehr lesen Eine Sichtweise, die so auch von den meisten IFRS-pflichtigen Fußballvereinen angewendet wurde. Nicht aber von Borussia Dortmund, die sich dieser erst mit dem Geschäftsjahr 2019/20 angeschlossen hat. Zuvor orientierte sich die Bilanzierung von Borussia Dortmund am IAS 18.7. Der Traditionsklub interpretierte den Kauf und Verkauf von Spielern als normalen Bestandteil des Geschäftsmodells des Vereins, wie der Verein auf Nachfrage angab. Die Folge: Seine Transfererlöse hat der Klub fälschlicherweise als Umsatz verbucht. Der BVB hatte seit Börsengang übrigens drei Abschlussprüfer. Von 2000 bis 2005 prüfte Westfalen-Revision, danach vier Mal BDO Westfalen-Revision und seit der Saison 2009/2010 das Big-Four-Haus KPMG. BVB wendete IAS 18.7 seit IPO an Bei der fälschlichen Anwendung von IAS 18.7 handelt es sich kaum um ein Kavaliersdelikt. Die Bafin hat nur einen Jahresabschluss gerügt, da die Finanzaufsicht nur stichprobenartig oder bei einem konkreten Verdachtsfall genauer in die Bilanzen schaut. Da der BVB die vereinnahmten Transferzahlungen aber seit dem Börsengang im Oktober 2000 bis zum Geschäftsjahr 2018/19 nach derselben, nun gerügten, Methode erfasst hat, habe ich mir alle vorangegangen Bilanzen unter der Fragestellung angeschaut. Ist nicht nur der Jahresabschluss 2017/18, sondern sind alle Jahresabschlüsse seit Börsengang zu korrigieren? Empfohlener externer Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Datawrapper, der von der Redaktion empfohlen wird. Sie können den Inhalt mit einem Klick aktivieren. Inhalt entsperren Immer entsperren Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von Datawrapper angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu erfahren Sie bei Datawrapper und unserer Datenschutzerklärung. Tatsächlich hat Borussia Dortmund alle Transfererlöse von 2000 bis 2019 nach IAS 18.7 in den Umsatz einfließen lassen. In diesem Fall hat der BVB die Umsatzerlöse seit dem IPO nach meinen Berechnungen um insgesamt 684,1 Millionen Euro zu hoch ausgewiesen, wie den Abschlussberichten der jeweiligen Saisons zu entnehmen ist. Allein im Jahr 2017/18 belief sich die Überzeichnung der Umsätze auf 222,7 Millionen Euro.Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie der BVB im Anhang des Geschäftsberichts 2019/20 die Umstellung seiner Bilanzierungsmethodik begründet hat. Nach Angaben des BVB erfolgte die Änderung als Konsequenz auf eine Entscheidung des IFRIC, wonach Transferentgelte „nicht mehr“ als Umsatzerlöse ausgewiesen werden dürften. Diese Formulierung ist zumindest irreführend, da eine Verbuchung von Transfereinnahmen als Umsatz weder vor dem IFRIC-Meeting, noch danach vorgesehen war. Wir lernen, es passiert nichts Und was ist jetzt die Konsequenz aus all dem? Anscheinend nichts. Die Bafin ist nur da, um Transparenz zu schaffen, die Aktionäre könnten sich nach dem Fehlerhinweis ihr eigenes Bild machen, heißt es seitens der Behörde. Finanziell wird es den BVB nichts kosten. Das ist schon verwunderlich, wenn ein mittelständisches Unternehmen seinen Umsatz teils im dreistelligen Millionenbereich zu hoch ausgewiesen hat. Zudem darf bezweifelt werden, dass die Aktionäre einer sogenannten Fan-Aktie wirklich genau auf Fehlerhinweise der Bafin schauen, geschweige denn Bilanzierungsdetails verfolgen. Es ist gut, dass die Bafin mittlerweile aktiver die Bilanzen kontrolliert. Es wäre nur schön, wenn das nicht mit fünf Jahren Verspätung geschieht. Immerhin hat der BVB stets auch die Umsatzerlöse ohne Transfereinnahmen ausgewiesen. Da musste man als Aktionär zwar etwas genauer schauen, aber man konnte die Zahlen im Geschäftsbericht durchaus finden. Nachträglich ändern will der BVB seine Bilanzen übrigens auch nicht, wie der Verein auf Nachfrage angab. Info Zum AutorPeter-Thilo Hasler ist Gründer des Research-Hauses Sphene Capital. Für FINANCE schreibt der Anhänger des FC Bayern München in regelmäßigen Abständen zu den finanziellen Entwicklungen in der Bundesliga und in anderen europäischen Ligen.

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