Interner Betrug: die Suche nach dem faulen Apfel

Es ist einer der derzeit am heißesten diskutierten Betrugsfälle in einem deutschen Unternehmen: Der Hamburger Metallkonzern Aurubis ist um mehrere Hundert Millionen Euro betrogen worden. Und dabei handelte es sich nicht um eine gewiefte Hackerbande, sondern zumindest in Teilen um das eigene Personal, wie sich herausstellte. Der Raub bei der traditionsreichen Kupferhütte ist das aktuell wohl prominenteste Beispiel für Kriminalität innerhalb von Unternehmen. Eine Gefahr, der immer noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn Zahlen bestätigen, dass vor allem das unternehmenseigene Personal eine große, wenn nicht gar die größte, Gefahr darstellt. 2022 haben sogenannte Innentäter laut einer Studie von Allianz Trade 57 Prozent der Fälle verursacht und waren für fast drei Viertel der Schäden verantwortlich, wie eine Untersuchung des Versicherers ergeben hat. 2023 waren es im bisherigen Jahresverlauf zwar nur 51 Prozent der Fälle, dennoch zeigt die Studie, wie groß die Gefahr ist, die von innen ausgeht. Interne Betrüger: Führungskraft, männlich, Mitte 40 Aber welche Voraussetzungen ebnen den Weg zu kriminellen Handlungen im eigenen Unternehmen? Rechtswissenschaftler und Kriminologe Hendrik Schneider erklärt: „Jede Wirtschaftsstraftat hat zwei Voraussetzungen: Eine günstige Tatgelegenheit und einen gewillten Straftäter.“ Gelegenheit macht also nach wie vor Diebe. Der typische Straftäter ist laut der Allianz-Trade-Statistik eine gut ausgebildete,meist männliche Führungskraft, etwa Mitte 40, die seit mindestens zehn Jahren im Unternehmen ist. „Ein Manager mit langer Betriebszugehörigkeit weiß, wie der Hase läuft, wo Nischen und Kontrolldefizite sindund hat die notwendigen Befugnisse“, so Schneider. Kriminologe Prof. Dr. Hendrik Schneider ist in seiner eigenen Kanzlei für Wirtschafts- und Medizinstrafrecht in Wiesbaden tätig. Foto: Hendrik Schneider Christoph Skoupil, Partner bei der Kanzlei Gleiss Lutz im Bereich Compliance und Investigations, ergänzt aus seiner langjährigen Erfahrung in internen Untersuchungen: „Ihr etabliertes Netzwerk, ihr Einfluss sowie das Wissen um die Strukturen ebnen in vielen Fällen den Weg, das System zu hintergehen oder auszunutzen. Häufig wirkt auch ein Machtgefälle auf besondere Weise.“ Diverse Teams können Betrug vermeiden Kriminologe Schneider rät zu diversen Teams, um Klüngelei und Machtmissbrauch keinen Vorschub zu leisten. Wenn unterschiedliche Blickwinkel, Perspektiven und Werteorientierungen aufeinanderträfen, würden Dinge ganz anders hinterfragt und überlegt. Und die Wahrscheinlichkeit eines „Buddy-Systems“ verringere sich maßgeblich. Interner Betrug kann darüber hinaus durch saubere Prozesse, Sensibilisierungsmaßnahmen und gute Kontroll- und Compliance-Systeme eingedämmt werden. Eine konkrete und einfache Lösung kann etwa das Vier-Augen-Prinzip sein, das laut Schneider insbesondere durch die veränderten Arbeitsweisen an Bedeutung gewonnen hat. „Insbesondere durch die flexiblere Arbeitswelt und erweitertes Homeoffice wird das Vier-Augen-Prinzip öfter vernachlässigt. Dabei bieten zwei Unterschriften mehr Sicherheit als eine.“ CFOs dürfen nicht über Regeln schweben Für saubere Kontrollprozesse ist auch der CFO eines Unternehmens zuständig. Für Finanzchefs ist das jedoch eine mitunter schwierige Aufgabe: Sie oder ihre Treasury-Chefs wollen etwa nicht jede einzelne Zahlung selbst freigeben müssen, gleichzeitig soll Betrügern nicht Tür und Tor geöffnet werden. Betrugsexperte Rüdiger Kirsch berichtet von einem Zahlungsbetrugsfall der nichtig scheint, aber schwere Konsequenzen zur Folge hatte: „Der zuständige Buchhalter in diesem Fall hatte festgestellt, dass die Angaben zum Empfängerkonto nicht mit den hinterlegten Stammdaten übereinstimmen und eine Zahlung deshalb nicht möglich war.“ Daraufhin habe der Finanzchef die Anweisung gegeben oder es zumindest geduldet, dass Stammdaten unter Verstoß gegen bestehende Richtlinien und ausdrückliche Anweisung abgeändert wurden, um eine Zahlung zu ermöglichen. Rüdiger Kirsch ist seit über 30 Jahren Betrugsexperte beim Kreditversicherer Allianz Trade/Euler Hermes. Foto: Allianz Trade „Aber eigentlich hätte der CFO effiziente Maßnahmen implementieren müssen, um Zahlungen in Abweichung von hinterlegten Kunden-Stammdaten zu unterbinden. Zumindest aber hätte er auf einer besonderen Kontrolle und Prüfung auf ihre Richtigkeit beharren sollen. Schlussendlich hat es ihn seinen Job gekostet. Und so etwas kann auch den Kopf des CEO kosten“, so Kirsch. „Finanzen ist ein besonders vulnerables Ressort“ Wird ein Betrugsfall bekannt, stellt sich schnell die Frage nach der Haftung. Bei Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist diese Frage geregelt. Sie trifft die Geschäftsleitung. „Es reicht grundsätzlich schon leichte Fahrlässigkeit, damit es zum Haftungsfall kommt“, erklärt Marcus Reischl, Partner bei Gleiss Lutz für Compliance und Investigations. „Gesetzlich ist geregelt, dass das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied – etwa der CFO – beweisen muss, dass es pflichtgemäß gehandelt hat. Die Organhaftung ist stets persönlich und unbeschränkt und daher ein scharfes Schwert.“ Reischl sieht das Ressort des CFO als besonders vulnerabel. „Es ist besonders anfällig, da jeder Wirtschaftsskandal zumindest auch durch das Finanzressort wandert.“ Sein Kollege Skoupil ergänzt, dass auch die strafrechtliche Komponente dabei nicht außer Acht gelassen werden darf: „Einem CFO kann etwa die sogenannte Geschäftsherrenhaftung zum Verhängnis werden. Danach kann Leitungspersonen unter Umständen ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden, wenn sie Taten von Mitarbeitenden nicht verhindert haben.“ Gebt Acht auf die Buchhalter Reischl, der schon zahlreiche interne Ermittlungen bei Unternehmen durchgeführt hat, konstatiert: „Die größte Gefahr für Unternehmensbetrug liegt in Finanzabteilungen. Besonders das ‚kreative Accounting‘ kommt häufig vor.“ Er berichtet von einem global tätigen Konzern, in dem bestimmte Wirtschaftsgüter zu verschrotten waren. Die Finanzabteilung habe die Güter allerdings aktiviert gelassen, was sich positiv auf die Quartalszahlen ausgewirkt hat. „Früher war das vielleicht noch ein Kavaliersdelikt, heute führt ein solches Handeln zu ausgedehnten internen Untersuchungen“, so Reischl. Allianz-Betrugsexperte Kirsch bestätigt diesen Eindruck zu Buchhaltern, „die über die Stränge schlagen“. „Buchhalter sitzen am Fressnapf und haben die Möglichkeit, mit Zahlen zu jonglieren. Daher ist die Rolle des CFO so entscheidend. Er muss die Buchhaltung und das Finanzteam so strukturieren, dass solche Schäden verhindert werden“, erläutert Kirsch. Er gibt Einblick in einen Fall, in dem eine Buchhalterin in den USA drei verschiedene Bücher geführt habe und sogar falsche Rechnungen stellte. „Damit konnte sie über drei Jahre mehrere Millionen US-Dollar veruntreuen.“ Das funktioniere besonders gut bei größeren Unternehmensstrukturen, also wenn Tochtergesellschaften unabhängig von der Unternehmenszentrale agieren. „In diesem Falle sollte man als Finanzchef regelmäßig Präsenz zeigen, um dem vorzubeugen“, so Kirsch. Alles zum Thema CFO-Fraud Die Zahl der Fake-President-Fälle steigt momentan rapide. Die Kriminellen profitieren vor allem von den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Mehr lesen Wie kann man interne Betrugsrisiken eindämmen? Lässt sich das Risiko, einen Betrüger im Unternehmen zu haben, schon frühzeitig eindämmen? Strafrechtler Schneider rät dazu, sich im Rahmen des „Pre Employment Screenings“ die Bewerbungsunterlagen im Original zeigen zu lassen. „Ist die Promotion in der deutschen Nationalbibliothek gelistet? Und was sagt mir das verklausulierte Arbeitszeugnis? Im Zweifel rufe ich beim vorherigen Arbeitgeber an und erkundige mich.“ Gleiss-Lutz-Anwalt Reischl ergänzt aus seiner Erfahrung: „Es gibt immer auch Täter, die von Unternehmen zu Unternehmen ziehen.“ Er berichtet von einem solchen Fall: Mittels gefälschter Rechnungen hat ein Betrüger aus anderen Unternehmen, bei denen er nacheinander als Vertriebsleiter angestellt war, Geld gezogen. Der Kriminelle war besonders auffällig in seinem Auftreten: Er leaste beispielsweise einen Ferrari und pendelte von zuhause zum Unternehmenssitz wöchentlich mit dem Privatjet. Diesen Täter hätte man herausfischen können, moniert Reischl. „Seine Arbeitszeugnisse waren ebenfalls gefälscht. Der Betrüger war über einen Headhunter ins Unternehmen gekommen, dem die Warnsignale nicht aufgefallen waren.“ Unternehmen und ihre CFOs müssen entsprechend stets die letzte Instanz sein und dürfen nicht blind ihren Dienstleistern vertrauen. Marcus Reischl ist Partner bei der Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz und begleitet Unternehmen regelmäßig durch Compliance-Krisen. Foto: Gleiss Lutz Allianz-Trade-Experte Kirsch weist bei der Neueinstellung von Mitarbeitern auf ein weiteres, neueres Problem hin: Künstliche Intelligenz. „Wir werden Bewerbungsverfahren zukünftig wieder persönlich durchführen müssen. Anders wird man sich vor Betrugsgefahr im Bewerbungsprozess nicht schützen können“, so Kirsch. Die Ironie: Die technologische Errungenschaft digitaler Bewerbungsprozesse wird durch eine andere technologische Errungenschaft, die KI, zunichtegemacht. Wie finden CFOs die faulen Äpfel? Wie finden CFOs also Mitarbeiter mit betrügerischen Absichten? Kirsch, der über langjährige Erfahrung verfügt, rät Unternehmen: „Glaube nichts und hinterfrage alles. Wer im Vorstand überleben will, muss sich mit diesen Themen beschäftigen. Es muss alles aufgeklärt werden.“ Compliance-Anwalt Reischl rät zu klaren Ansagen von oben: „Wenn CFOs den Eindruck erwecken, dass man tricksen darf, wird getrickst, auch wo er es nicht mitbekommt. Daher sollten Finanzchefs die klare Message senden, dass Mitarbeitende sich an die Regeln halten müssen.“ Christoph Skoupil verteidigt Unternehmen regelmäßig bei komplexen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwürfen. Er ist ebenfalls Partner bei Gleiss Lutz. Foto: Gleiss Lutz Gleiss-Lutz-Partner Skoupil legt CFOs ans Herz, Prozesse und Entscheidungen zu dokumentieren. „Wenn ein CFO des Betrugs beschuldigt wird, steht schnell die Frage im Raum: ,Wo sind Entscheidungen und entlastende Momente dokumentiert?‘ Und der CFO steht im Zweifel allein da.“ Die oft als nervig wahrgenommene Dokumentation sollte ernstgenommen werden. Info Zum Fall Aurubis:Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat im Zuge des Raubs bei Aurubis Anklage gegen fünf Beschuldigte wegen schweren Bandendiebstahls oder gewerbsmäßiger Bandenhehlerei erhoben. Ein weiterer Beschuldigter sei der Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl verdächtig, so die Anklagebehörde. Es geht um Vorgänge im Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021. In wechselnder Beteiligung sollen die Beschuldigten etwa fünf Tonnen „edelmetallhaltige Zwischen- und Nebenprodukte im Gesamtwert von rund 11 Millionen Euro unrechtmäßig vom Firmengelände im Stadtteil Veddel entwendet sowie an bislang unbekannte Abnehmer weiterverkauft“ haben, so die Staatsanwaltschaft. Der Prozess ist in der zweiten Dezemberwoche 2023 gestartet.

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