Wenn der Vorstand unter Drogen steht

Maximilian Berger war seine Unabhängigkeit immer sehr wichtig. Der Finanzgeschäftsführer des Rechenzentrenbetreibers XPC identifiziert sich mit seiner Aufgabe, der 48-Jährige ist seit Jahren ein geschätzter Mitarbeiter in der Firma und hat sich intern bis zum CFO hochgearbeitet. Sein Beruf stellt für ihn nicht nur eine Tätigkeit dar, sondern ist tatsächlich seine Berufung. Doch die vielfältigen verantwortungsreichen Tätigkeiten lassen Bergers Arbeitstage länger werden, das Unternehmen wächst schnell, und das Wachstum muss finanziert werden. Der Manager steht unter Druck und findet kaum noch Entspannung. Berger muss einen Weg finden, wie er der Belastung standhalten kann. Die scheinbare Hilfe und Lösung findet er in Alkohol und Kokain. Berger fühlt sich den hohen Anforderungen plötzlich wieder gewachsen. Er funktioniert. Zunächst. Allerdings schlägt die anfängliche Euphorie schnell um. Bergers Leistungen nehmen mit zunehmendem Konsum stetig ab, Entzugserscheinungen sorgen dafür, dass seine Gedanken verstärkt um den nächsten Konsum kreisen. Der Weg in die Sucht ist meist schleichend Der Manager kann seine Probleme vor Kollegen und seiner Familie zwar noch geheim halten. Aber sein Umfeld merkt, dass etwas nicht stimmt. Er ist in die Abhängigkeit gerutscht. Die Person Maximilian Berger gibt es in dieser Form nicht, die Geschichte beruht aber auf einem echten Fall. Denn auch wenn Top-Manager oft teflonartig daherkommen und unantastbar wirken, haben auch sie mit Suchtproblemen zu kämpfen. Doch das ist ein Tabu, kaum einer redet gern darüber. Auch bei der Recherche zu diesem Text wollte kein Top-Manager mit FINANCE über seine Suchterfahrungen reden. Info Was ist Sucht? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Sucht als einen Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge. Manchmal dauert es Jahre, bis aus einem unproblematischen Konsum eine Suchterkrankung wird. Drogensucht ist ein Tabuthema „Selbst Burn-out oder Depressionen sind im Vergleich zu Suchterkrankungen gesellschaftsfähiger“, sagt auch Sven Marquardt, Verwaltungsdirektor der Entzugsklinik und Suchtklinik My Way Betty Ford Klinik in Bad Brückenau. „Dabei ist das Problem weitverbreitet: 1,6 Millionen Menschen sind laut dem Bundesministerium für Gesundheit in Deutschland alkoholabhängig.“ Bernd Schneider, Leiter der Median Gesundheitsdienste in Koblenz, ergänzt: „Rein statistisch kann man davon ausgehen, dass bei 100 Mitarbeitern fünf bis sieben Alkoholprobleme haben.“ Top-Manager wie CFOs sind besonders suchtgefährdet. Sie stehen unter hohem Druck, müssen gegenüber Investoren, Banken oder Stakeholdern performen. Ein schlechter Auftritt vor Analysten kann schnell mehrere Millionen Euro Börsenwert vernichten. Und das sind nur berufliche Themen: Kranke Eltern oder Kinder ebenso wie eine kriselnde Beziehung können noch hinzukommen. Viele Führungskräfte trinken mehrmals pro Woche Alkohol Der Druck an der Spitze ist enorm. Und wenn Manager keinen gesunden Umgang mit diesem Stress finden, suchen sie andere Ventile. In den meisten Fällen ist das zunächst der Alkohol. Bier, Wein, Whiskey und andere Spirituosen sind legal, relativ günstig und gesellschaftlich akzeptiert. Auf vielen Veranstaltungen werden sie gar gratis ausgeschenkt, ein Alkoholiker fällt hier nicht auf. Manch ein Abschluss wird auch in der Bar besiegelt und nicht im Büro. Wer nichts trinkt, fühlt sich oft als Außenseiter. Ein Bier zum „Runterkommen“ ist verbreitet. Foto: Dall-E (KI-generiert) So ist es kaum verwunderlich, dass in einer Umfrage des „Handelsblatt“ gut 60 Prozent der Führungskräfte angaben, mehrmals in der Woche Alkohol zu konsumieren. Der Leiter des Frankfurter Drogenreferats Artur Schroers beschreibt den Weg in die Alkoholsucht als „schleichend“: Zunächst trinke man nur gelegentlich und am Wochenende. „Wenn man aber an mehr als fünf Tagen pro Woche Alkohol konsumiert, ist das ein riskanter, gesundheitsschädlicher Konsum.“ Etwa jeder fünfte Alkoholabhängige ist gut ausgebildet Jeder könne mal ein Glas Wein oder Bier trinken, sagt auch der Klinik-Manager Marquardt. Er warnt aber: „Neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge gibt es keine unbedenkliche Menge. Richtig problematisch wird es, wenn es nicht mehr ohne geht.“ Genaue und verlässliche Zahlen, wie viele Manager abhängig sind, gibt es nicht. Gemäß des „Epidemiologischen Suchtsurvey“ des Gesundheitsministeriums zeigen 17,8 Prozent der 50- bis 59-Jährigen ein problematisches Konsumverhalten von Alkohol. Das US-amerikanische National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism fand in einer Studie heraus, dass rund 20 Prozent der Alkoholabhängigen gut ausgebildet sind und ein hohes Einkommen haben. Info 57 Milliarden Euro beträgt der wirtschaftliche Schaden, der laut dem Bundesministerium für Gesundheit durch Alkohol jährlich für die deutsche Volkswirtschaft entsteht. 7,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren konsumieren Alkohol demnach in gesundheitlich riskanter Form. 20 Prozent der Alkoholabhängigen sind gut ausgebildet und haben ein hohes Einkommen, wie das US-amerikanische National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism in einer Studie herausfand. Drogensucht kann viele Ursachen haben Gründe für Süchte sind zwar grundsätzlich verschieden und individuell. „Eine Ursache ist mit Sicherheit die Genetik“, sagt Suchtexperte Schneider aus Koblenz. „Die Art und Weise, wie unser Gehirn auf ein Suchtmittel reagiert, führt bei verschiedenen Menschen zu unterschiedlichen Reaktionen.“ Alkohol zum Beispiel löse bei manchen Menschen ein sehr hohes Wohlbefinden aus, ihr Dopamin-Belohnungssystem springe darauf sehr schnell an. „Burn-out oder Depressionen sind gesellschaftsfähiger.“ Sven Marquardt, Suchtexperte Aufgrund seiner Erfahrung in der Behandlung von Suchtkranken weiß Schneider, dass auch die Persönlichkeitsstruktur eine große Rolle spielt. „Mangelndes Durchsetzungsvermögen, ein geringes Selbstwerterleben und eine gewisse Konfliktscheu können Führungskräfte, die eigentlich harmoniebedürftig sind, im harten Alltag richtig unter Druck setzen“, sagt er. Sie entwickelten daher oft eine berufliche Persönlichkeit, die stark von ihren eigentlichen Eigenschaften abweichen könne. Doch das muss nicht sein, wie der psychologische Psychotherapeut erklärt: „Diese Fähigkeiten lassen sich lernen, ohne dass man sich selbst verleugnet. Wenn die beruflichen Anforderungen dazu führen, dass jemand persönlich wachsen und sich weiterentwickeln kann, haben wir eine sehr gute Kombination.“ Solange die Zahlen stimmen, wird der Konsum oft toleriert Schwieriger sei es bei denen, „die unglaublich ehrgeizig sind, aber deren Fähigkeiten nicht ausreichen“. Die fehlende Kompetenz werde durch übermäßige Loyalität anderen Autoritäten gegenüber kompensiert. Man handele entgegen der eigenen Überzeugung oder werde von anderen abhängig, so Schneider. „Das kann zu persönlichem Stress führen, den sie mit einer Substanz kompensieren.“ Gerade in den Vorständen gebe es außerdem Persönlichkeiten, „die sich für unverwüstlich halten mit einem scheinbar unerschütterlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten, die sich dann im Einsatz von Alkohol überschätzen“. Einer von Schneiders Patienten war beispielsweise ein erfolgreicher Banker, dessen Alkoholprobleme allgemein bekannt waren. „Das wurde toleriert, weil die Zahlen stimmten. Aber irgendwann ist das gekippt, und die Kollateralschäden sind eklatant geworden.“ „Kokain gibt den Konsumierenden das Gefühl, stark und leistungsfähig zu sein.“ Artur Schroers, Drogenreferat Frankfurt Manager wollen mit Drogen ihre Performance verbessern Die meisten Top-Manager rutschen in die Abhängigkeit, weil sie besser performen wollen oder weil sie glauben, dass sie eine Stimulanz benötigen, um ihre Aufgaben zu bewältigen. Daher wird zusätzlich zum Alkohol oft auch Kokain konsumiert. „Kokain gibt den Konsumierenden das Gefühl, stark und leistungsfähig zu sein“, erklärt Artur Schroers vom Frankfurter Drogenreferat. Gleichzeitig könnten sie aufgrund von Wechselwirkungen mehr Alkohol konsumieren, ohne betrunken zu wirken. „Viele suchen einen Ausgleich zum stressigen Job, wenn sie abends nach der Arbeit noch mit den Kollegen feiern gehen. Aber der gesellschaftliche Druck, sich immer leistungsstark, agil und energiegeladen darzustellen, reicht bis in die Freizeit und führt dazu, dass Menschen dysfunktional stimulierende Substanzen gebrauchen.“ Die Arbeit häuft sich, arbeiten zu später Stunde ist für CFOs üblich. Foto: Dall-E (KI-generiert) Teufelskreis der Upper und Downer Und so geraten Süchtige in eine Spirale, in der sie verschiedene Mittel einnehmen: morgens die sogenannten Upper wie Kokain oder Amphetamine, um sich aufzuputschen, wie Sven Marquardt von My Way Betty Ford erklärt; abends die sogenannten Downer wie Alkohol, Benzodiazepine (beispielsweise Valium) oder Cannabis, um sich zu beruhigen und in den Schlaf zu finden. Am nächsten Morgen ist der Abhängige dann so erschöpft, dass er wieder Upper braucht. Ein Teufelskreis, der nicht unbemerkt bleibt. Dem Unternehmen entstehen finanzielle Schäden „Sie können davon ausgehen, dass die berufliche Leistungsfähigkeit abnimmt, wenn jemand regelmäßig in schädlicher oder sogar abhängiger Form Alkohol konsumiert“, stellt Schneider von den Median Gesundheitsdiensten fest. Anfangs seien es vielleicht 20 Prozent weniger Leistung, bald darauf 40 Prozent. „Diese geschuldeten, aber nicht erbrachten Leistungen kann man einfach mit dem Lohn hochrechnen, um den Schaden für das Unternehmen zu ermitteln.“ Hinzu käme auch die Arbeitsunfähigkeit, etwa bei einer Entgiftung. Problem: Wer sagt dem Chef, dass er ein Alkoholproblem hat? Bei Vorständen und Führungskräften ist ein besonderes Problem, dass sie Autoritätspersonen sind. Im Fall von einfachen Angestellten mit Alkoholproblem kann der Chef das Gespräch suchen und Hilfen anbieten. Mit Vorständen verhält es sich anders. „Geschäftsführer, Vorstände oder andere Manager schweben sozusagen über der Belegschaft. Und deswegen bekommen sie diese Rückmeldungen nicht. Niemand sagt ihnen: ,Mit Verlaub, aber Sie haben eine Alkoholfahne‘“, erklärt Schneider. „Das wäre sehr wichtig. Aber das traut sich kaum einer.“ „Vorstände schweben über der Belegschaft.“ Bernd Schneider, Suchthelfer Hier wären andere Kontrollgremien gefragt, Aufsichtsräte etwa. „Aber wenn die Zahlen und die Ergebnisse stimmen, ist der Gesundheitszustand des zuständigen Managers weniger wichtig, da wird kaum jemand etwas sagen“, erklärt der Suchtexperte. Das Gespräch suchen Dabei wäre gerade das die beste Hilfe: das Problem ansprechen. Denn vielen Abhängigen ist nicht bewusst, dass sie ein Problem haben. Zur offenen Kommunikation rät auch Schroers vom Drogenreferat: „Wenn das Umfeld Signale in diese Richtung gibt, sollten Betroffene Beratung und Hilfe suchen.“ Dafür gebe es kostenlose und anonyme Sucht- und Drogenberatungsstellen, an die sich Betroffene, aber auch Angehörige, Freunde oder Kollegen wenden können. Wichtig sei vor allem, herauszufinden, welche Funktionen diese Substanzen für die Menschen übernehmen, wie zum Beispiel Stressbewältigung, Selbstoptimierung oder Geselligkeit. Info Wo gibt es Hilfe? Haben Sie den Verdacht, dass Sie oder eine Ihnen nahestehende Person eine Sucht entwickelt hat? Die Sucht & Drogen Hotline der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Tel.: 01806 313031) kann helfen (20 Cent pro Anruf). Suchtberatungsstellen in Ihrer Nähe finden Sie unter: www.suchthilfeverzeichnis.de Aus seinem Therapiealltag weiß Schneider: „Alkohol hilft, den Gap zwischen dem, was man gern sein würde, und dem, was man ist, zumindest in der Selbstwahrnehmung aufrechtzuerhalten. Wir müssen herausfinden, welche Lücke der Alkohol im Leben eines Menschen gefüllt hat.“ Und für diese Lücken gelte es, alternative Lösungen zu finden. Alkohol- oder Tabakkonsum im Büro eindämmen Unternehmen würde Schneider dazu raten, den Alkoholkonsum während der Arbeitszeit komplett auszuklammern, ebenso wie den Tabakkonsum. Denn fast alle der von ihm behandelten Alkoholabhängigen seien auch tabaksüchtig. Stattdessen empfiehlt er Kurse zur Raucherentwöhnung und zum richtigen Umgang mit anderen Suchtmitteln. Vorstände könnten dabei mit ihrer Abstinenz durchaus als Vorbild dienen, wie der frühere Telekom-Chef Ron Sommer, der stets offen kommuniziert hat, keinen Alkohol zu trinken. Sven Marquardt von der My Way Betty Ford Klinik ist es wichtig zu betonen, dass Alkoholismus und andere Suchtkrankheiten weniger stigmatisiert werden sollten. „Das sind normale Erkrankungen, die nichts mit fehlendem Willen zu tun haben. Es kann jeden treffen.“

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