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Der CFO als Primus inter pares

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Der CFO als der geheime Steuermann? FINANCE-Kolumnist Niels Dechow entwirft ein höchst attraktives Zukunftsbild der Finanzchefs.
alesgon/stock.adobe.com

Immer wieder erlebe ich CFOs, die um jeden rhetorischen Preis versuchen, sich als Business-Partner darzustellen. Dennoch bleibt ihre Beteiligung an dem zentralen Projekt Digitalisierung in vielen Unternehmen nach wie vor bescheiden, wie diverse Studien zeigen, kürzlich erst wieder eine von Bearing Point.

Ich habe einen Verdacht, woran das liegen könnte: Viele Finanzchefs und -chefinnen fokussieren sich bei ihrem Anspruch, Business-Partner zu sein, auf den Status quo, nicht aber auf das, was kommt. Meines Erachtens sollte ein CFO dringend seiner eigenen Finanzabteilung beibringen, sich agil in dem Spannungsfeld zwischen Kunden, Investoren, Betrieb und Daten zu bewegen.

Der CFO als Change Master

Dem folgend, bleibt dem CFO nichts anderes übrig, als in die Mitte seiner Geschäftsführungskollegen zu rücken. Das wird auf lange Sicht auch passieren, da bin ich mir sicher. Künftig wird der Vorstandsvorsitzende sich auf das Share- und Stakeholder-Management konzentrieren und in erster Linie die hauseigene Kombination von Geschäfts- und Betriebsmodell als kohärentes Investitionsobjekt vermarkten müssen – quasi die Auf- und Darstellung der Firma „aus einem Guss“.

Der CFO hingegen wird eine datenfokussierte Position einnehmen und sich darauf konzentrieren, wie das Unternehmen Daten erhebt und diese produktiv für dessen Fortentwicklung einsetzt. Das bringt die Finanzchefs in eine hervorgehobene Position: Umgeben vom CEO, einem Chief Operating Officer, einem Chief Digital Officer und einem Chief Customer Journey Officer können sie sogar der „Change Master“ werden. Und weil „Change“ jedes Unternehmen dauerhaft begleitet und herausfordert, kann dies einen guten CFO sogar zum Primus inter Pares machen.

Ein kommunikativer CFO mit einem Auge für Daten(prozesse) kann zur zentralen Drehscheibe des Austauschs im Vorstandskreis werden. Natürlich könnten die übrigen Chefs untereinander auch ohne den Finanzer kommunizieren. Da aber jede Veränderung Investitionen verursachen und/oder Kosteneinsparungen erfordern wird, ist es ganz einfach rational für sie, produktive Veränderungen fest beim CFO zu verankern.

Die Organisation um die eigene Achse falten

Treiber dieser kollegialen Zusammenarbeit muss die Auseinandersetzung mit der Frage sein, welche Informationen dem Unternehmen bereits seit gestern zur Verfügung stehen, welche heute benötigt werden und welche es morgen brauchen wird, um zukunftsorientiert agieren zu können. Dafür muss sich der CFO aber nicht als Business-Partner gerieren. Seine (ihre) Aufgabe wird es sein, die Organisation um ihre eigene Achse falten zu können. In diesem gedachten Raum interagieren die jeweiligen Positionen und Interessen von Investoren, Kunden, IT und Betrieb. 

Jegliche Kosteneinsparung kann mit Macht durchgesetzt werden, das ist weder Handwerk noch Kunst.

Damit werden es schon in naher Zukunft viele CFOs sein, die den Taktstock der Veränderung schwingen: Als „Change Masters“ schaffen sie Platz für Neues durch die Anpassung des Alten. Sie geben Kosteneinsparungen und Investitionen Hand und Fuß. Dass immer noch der eine oder andere Finanzchef versuchen wird, sich nur durch Kosteneinsparungen zu profilieren – geschenkt. Jegliche Kosteneinsparung kann mit Macht durchgesetzt werden, das ist weder Handwerk noch Kunst. Kluge CFOs befördern ihre weitere Karriere, indem sie sich mit den Herausforderungen von morgen beschäftigen.

Unternehmen errichten Barrieren

Spannen wir das Bild noch etwas weiter: Die Digitalisierung stellt Unternehmen in ihrer Gesamtheit als Investitionsobjekt in Frage. Schon lange suchen Unternehmen nicht mehr ihre Marktnischen. Diese werden stattdessen gebaut, indem aggressive Unternehmen gezielt darin investieren, existente Geschäfts- und Betriebsmodelle auf Branchenebene zu verändern. Hohe Investitionen in Digitalisierung errichten Barrieren, die für die langsamen, nicht digitalisierten Wettbewerber schier unüberwindbar werden.

Herausgefordert von dieser Sichtweise, erwacht eine alte Unterscheidung zwischen Aufbau- und Ablauforganisation zu neuem Leben. Im deutschsprachigen Raum war es Kosiol, der einst dieses Begriffspaar eingeführt hatte. Etwas vereinfacht ging es dort um die Frage, wie ein Unternehmen aus Strukturen und Prozessen eine Synthese schafft. Trotz des zeitweiligen Fokus auf Konzepte wie „Business Process Re-Enginering“ erscheint es mir, dass in der Praxis Ideen dazu lange eher als eine Art Hygienekonzept wahrgenommen wurden, nicht aber als eine Basis für Investitionen strategischer Größenordnung.  Die Digitalisierung wird dies verändern.

Das Siemens-Kohle-Desaster und der Wandel

Vom Vorstand werden die Stakeholder in Zukunft wissen wollen, wie das Geschäfts- und das Betriebsmodell als Investment-Case entwickelt werden. Im Englischen unterscheidet man auch schon zwischen Business- und Corporate Strategy. Bei Ersterem geht es darum, wie Umsatz generiert werden soll. Beim zweiten geht es darum, wie die Gewinne maximiert werden können, neuerdings unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien. Einige Interessenten wollen wissen, wie das Geschäftsmodell funktioniert, andere, welchen ökologischen „Footprint“ das Betriebsmodell bei der Schaffung neuer Shareholder-Werte hinterlässt.

Im Kontext solcher Fragen ist es eminent wichtig, dass der CFO sein „Finance-4-Future“ darstellen und begründen kann. Finanzdaten werden dabei natürlich wichtig bleiben. Alleine stehenlassen kann man sie aber nicht mehr, zu sehr hat sich das Interesse mancher Stakeholder fortentwickelt.

Genau das haben wir im Fall der von Siemens mit Infrastruktur ausgestatteten neuen australischen Kohlemine gesehen – oder, wie man es auch nennen kann, beim Zusammenstoß „Neubauer versus Kaeser“. Die Klimaaktivisten stellten das Geschäft im Prinzip und auf Modellebene in Frage. Ganz traditionell wies Siemens-Chef Kaeser dann auf den Erlös, die Shareholder, die Vertragskonditionen und so weiter hin.

Interessiert hat das leider kaum jemanden, auch nicht die finanziellen Verpflichtungen, die Siemens gegenüber Investoren und Geschäftspartnern eingegangen ist. Von Interesse war hingegen das „Risiko eines eventuellen Footprints“, was insofern interessant ist, da es auf eine neue Art Objektsprache hinweist, deren Syntax, Semantik und Pragmatik noch etwas unklar ist.

Hier kommt der CFO ins Spiel

Dieses Beispiel zeigt deutlich: Überall entsteht ein neuartiger Anspruch auf viel umfassendere Daten als nur Finanzkennzahlen. Ich wage die Behauptung, dass CEOs in Zukunft eher die Rolle interner Lieferanten von Impulsen ins Unternehmen hinein übernehmen werden. Und dort steht dann der CFO, der Herr der Daten und des Wandels, der den Impuls aufnimmt.

Für den einen oder anderen mag sich dies revolutionär anhören. Warum sollte so etwas passieren? Vielleicht überlegen Sie es sich so: Wir – die breite Öffentlichkeit – betrachten insbesondere große Unternehmen wie Supertanker, die sich auf dem Meer bewegen. Wir interessieren uns eigentlich nur dafür, mit welcher Intention dieses Schiff geführt wird und inwieweit es – falls nötig – seinen Kurs ändern könnte. Ein CEO kann auf dieser Abstraktionsebene agieren. Ein CFO aber muss dort heruntersteigen können, um sich konkret mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Daten wo vorhanden sind und wie sie – in der richtigen Repräsentationsform – extern und intern verwendet werden können.

Ein Beispiel: Seit jeher wissen (oder ahnen) wir, dass ein Fokus auf Umsatz auf Dauer weniger produktiv ist als ein Fokus auf Kundenzufriedenheit – Stichwort Amazon. Jetzt ist es an der Zeit, dass CFOs diesen Fokuswechsel vornehmen. Vielleicht geht es ja schon jetzt gar nicht mehr darum, Profitziele zu definieren. Schließlich ist Profit nichts anderes als ein Effekt verschiedener Maßnahmen, die möglicherweise viel eher in den Fokus rücken sollten. Das ist komplex, und es braucht einen CFO, der Wert darauf legt, sich ständig mit dem Modus der Datenerhebung und -behandlung auseinanderzusetzen.  Ein CEO schafft dies eben nicht, weil er (sie) dauernd unterwegs sein muss. Dies nicht zu müssen, ist der große Vorteil von CFOs.

Der Fokus auf Umsatz ist auf Dauer weniger produktiv als ein Fokus auf Kundenzufriedenheit – Stichwort Amazon.

Das neue Raison-d’etre der CFOs

Im Tagesgeschäft werden sich alle „Chiefs“ für die Positionen der Investoren, die Fähigkeiten des Betriebs, die Grenzen der Systemarchitektur sowie die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden einsetzen müssen. Lediglich dem CFO obliegt jedoch die Aufgabe, diese Positionen zusammenzubringen und sie auf dem gemeinsamen Nenner der zu erbringenden Datenbasis zu vereinen.

Heute ist diese Art der Zusammenarbeit noch eher selten. Marketing und Vertrieb treiben die Digitalisierung, es werden großen Datenmengen gesammelt, die aber nicht ordentlich verarbeitet werden können. Warum passiert das? Einerseits, weil Marketing und Vertrieb ganz richtig in die Zukunft geschaut haben, andererseits aber nicht über die finanziellen Ressourcen verhandeln konnten, die nötig gewesen wären, die komplette Systemarchitektur der Firma auf Vordermann zu bringen.

Hier bedarf es Koordination, und diese kann eigentlich nur von jemandem kommen, der sich weder als Vertreter von internen oder externen Akteuren noch von Technologien oder Produkten versteht. Diese Person kann besser abwägen, was „desirable“, „feasible“ oder „viable“ ist, und nur mit so einer Schnittstelle gelingt Fortentwicklung mit Digitalisierung. Deshalb sind CFOs die Manager der Zukunft.

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Hier geht es zu allen Beiträgen seines Blogs „Controlling 2025„.