Newsletter

Abonnements

John Kornblum: „Europa muss über seinen Schatten springen“

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken
Der ehemalige US-Botschafter John Kornblum sprach bei der Structured FINANCE über die künftige amerikanische Außen- und Handelspolitik unter Joe Biden – und richtete einen klaren Appell an Europa.
F.A.Z. Business Media GmbH/A. Varnhorn

„Mr. Gorbachev, tear down this wall!“, forderte einst Ronald Reagan in einer Rede vor der Berliner Mauer am Brandenburger Tor. Die Idee zu dieser Aufforderung hatte aber nicht der damalige US-Präsident, sondern John Kornblum. „Ich bin stolzer auf das Ereignis als auf den Satz“, meinte der frühere US-Botschafter gestern, darauf angesprochen, bei der Structured FINANCE E-Paper Week.

Das Onstage-Interview mit dem prominenten US-Diplomaten war das abschließende Highlight der diesjährigen Structured FINANCE E-Paper Week. Wegen Corona fand es allerdings, wie die komplette Veranstaltung, virtuell statt. Kornblum lebt eigentlich mit seiner Frau in Berlin, doch während der Pandemie wohnen beide in Nashville, Tennessee.

Mit Ole Jendis, Geschäftsbereichsleiter Finanzen beim F.A.Z.-Fachverlag, sprach Kornblum vor allem über die dramatische US-Wahl, das politische Erbe von Donald Trump und die künftige Handelspolitik des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Dass dieser die Wahl gewinnen würde, hatte Kornblum erwartet – und erhofft: „Sie können sich vorstellen, dass ich kein großer Befürworter von Trump war und bin“, sagte der Transatlantiker Kornblum.

Kornblum hält Trumps Macht für begrenzt

„Trump ist kein normaler Politiker, er ist überhaupt kein Politiker. Er ist eine charismatische Figur, die eine Stimmung erzeugt und viele Menschen bewegt hat“, beschreibt Kornblum den scheidenden US-Präsidenten. Mit seinem Verhalten nach der Wahl versuche Trump, „das Fundament für seine Aktivitäten nach seiner Amtszeit“ zu legen, wie es Kornblum ausdrückt. Das Ende des Wahlkampfs sei für Trump nur ein weiterer Schritt bei der Suche nach persönlicher Geltung.

Auch wenn Trump aus der Öffentlichkeit nicht verschwinden wird, so hält Kornblum seine künftige politische Macht doch für begrenzt. „Ich habe mein ganzes Leben lang mit Macht und Einfluss leben müssen – wenn man keine Macht mehr hat, hat man keine Macht mehr“, so Kornblum. Trump werde zwar eine Medienpersönlichkeit bleiben, aber er werde die republikanische Partei verlieren, die nach vorne schauen und andere Kandidaten finden werde.

„Trump wird zwar eine Medienpersönlichkeit bleiben, aber er wird die republikanische Partei verlieren, die nach vorne schauen und andere Kandidaten finden wird.“

John Kornblum

Kornblum dämpft Hoffnungen bei Handelspolitik

Viele CFOs hofften im Vorfeld der Wahl, dass Biden gewinnt – und damit auf eine EU-freundlichere und offenere Handelspolitik als unter Trump. Diese Hoffnungen dämpfte Kornblum allerdings ein Stück weit. Zwar dürfte Joe Biden wieder eine Außenpolitik betreiben, die sich auf eine globale und liberale Ordnung bezieht, doch die inhaltlichen Kriterien für die Handelspolitik hätten sich in den vergangenen Jahren verändert.

Das würde auch Biden vor Herausforderungen stellen – zum Beispiel der Aufstieg von China zur Großmacht oder das Aufkommen der Digitalisierung. „Handelspolitik ist sehr mühsam, weil sie die tiefsten wirtschaftlichen und psychologischen Interessen der Wähler trifft“, so Kornblum. Ein wichtiges Amt für die künftige Handelspolitik der USA sei zudem noch unbesetzt: der Handelsbeauftragte.

Kornblum merkte auch an, dass es nicht alleine die Schuld von Donald Trump sei, dass westliche Freihandelsabkommen scheiterten. Als Beispiel nennt er TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. „Die war auch fast unterschriftsreich. Aber wer hat das gekillt? Die Bundesrepublik Deutschland“, so Kornblum.

Kornblum nimmt Europa in die Pflicht

Deutschland sei einer der Hauptgründe, warum sich der Westen in der Handelspolitik nicht einig sei. Biden könne handelspolitisch wieder in die Weltgesundheitsorganisation eintreten und neue Gespräche mit dem Iran aufnehmen. „Aber die Inhalte der Handelspolitik kann er selber nicht bestimmen“, meint Kornblum.

Die Inhalte würden auch von den europäischen Verbündeten beeinflusst – und das bisher nicht immer positiv. Europa habe sich hier auch nicht mit Ruhm bekleckert, vor allem in der Landwirtschaftspolitik. „Die Subventionen der EU sind nicht marktgereicht“, kritisiert Kornblum.

Sein Appell an Europa: „Jetzt ist die Zeit gekommen, da sich die Europäer auf die gewaltigen Veränderungen konzentrieren müssen, die auf der Welt stattfinden“, so Kornblum. Amerika sei dafür der perfekte Partner, doch die Europäer müssten über ihren Schatten springen und mitgestalten, anstatt nur am eigenen Haus Europa zu bauen.

philipp.habdank[at]finance-magazin.de