Rein virtuell? Die Zukunft der Hauptversammlung

Die Hauptversammlungssaison läuft auf Hochtouren. Die meisten der Dax-Unternehmen wie Vonovia, Fresenius und Co. haben ihre Aktionärstreffen bereits abgehalten. Statt auf volle Veranstaltungssäle, setzten die Unternehmen dabei vor allem auf das virtuelle Format. 28 Dax-Konzerne hielten ihre HV virtuell ab, 12 Unternehmen luden ihre Aktionäre vor Ort ein. Im Vergleich zu 2023 gab es einige Veränderungen. Dax-Konzerne und die virtuellen Hauptversammlungen Besonders im Dax setzt sich der Trend zum virtuellen Format fort: „Im vergangenen Jahr waren rund zwei Drittel der Dax-HVs rein virtuell. In diesem Jahr sieht es ähnlich aus“, berichtet Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre. VW und Porsche haben ihre Hauptversammlung wieder virtuell abgehalten, nachdem sie im vergangenen Jahr auf das Präsenzformat gesetzt hatten – inklusive Tortenvorfall und Demonstrationen. Es gibt aber auch andere Beispiele: Continental, Fresenius und Münchener Rück haben sich dieses Jahr wieder für ein Präsenzformat entschieden. Im MDax und SDax ist die Verteilung anders als im Dax: „Hier ist der Anteil an Hauptversammlungen in Präsenz höher. Im SDax finden sogar deutlich mehr Treffen vor Ort statt“, sagt Peres. Virtuelle HVs: Enormer Informationsverlust Dass virtuelle Hauptversammlungen im Dax mittlerweile zum Standard geworden sind, sehen einige Aktionäre kritisch. „Virtuelle Hauptversammlungen verkommen zu einer Art Vorstandsfernsehen. Es findet weder ein Austausch noch ein Dialog statt“, sagt Anwalt Peres. Auch institutionelle Investoren wie die Deka sind beunruhigt über diese Entwicklung: „Der Informationsverlust ist im virtuellen Format immens“, kritisiert Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei der Deka Investment. „Das betrifft die Kommunikation unter den Aktionären. Zudem sind die Stimmung in der Halle und Nuancen in der Tonalität der agierenden Personen nicht spürbar.“ „Der Informationsverlust ist im virtuellen Format immens.“ Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei der Deka Investment Auch die Vorstände selbst könnten vom Austausch profitieren, argumentiert etwa Peres: „Der persönliche Austausch kann für das Management befruchtend sein.“ Weniger Teilnehmer bei virtuellen HVs Ingo Speich, Foto: Deka Argumente von Vorständen für virtuelle Versammlungen wie die höhere Teilnehmerzahl – auch internationaler Investoren – lässt Speich nicht gelten: „Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben festgestellt, dass bei virtuellen Hauptversammlungen deutlich weniger Aktionäre teilnehmen. Nur rund 20 Prozent der sonst in der Halle anwesenden Investoren loggen sich in der Regel noch im Aktionärsportal ein.“ Und es gibt noch drastischere Beispiele. Speich berichtet von einem MDax-Unternehmen, bei dessen virtueller HV nur eine zweistellige Zahl von Teilnehmern anwesend war. Technische Mängel erheblich Bereits im vergangenen Jahr wurde zudem kritisiert, dass es bei vielen virtuellen HVs technische Probleme gab. „Jede dritte HV war 2023 fehlerhaft“, so Speich. Und in der aktuellen Saison sieht es nicht viel besser aus: „Auch in diesem Jahr gab es viele Probleme. Traurigerweise gehen wir mittlerweile weit vor Beginn der Hauptversammlung online, um zu testen, ob die Technik überhaupt funktioniert.“ Die technischen Probleme seien vielfältig. Grund dafür seien die unterschiedlichen Dienstleister und Subdienstleister, erläutert er. Die Folgen technischer Probleme können gravierend sein: Aktionäre können keine Fragen stellen, Bild- und/oder Tonstörungen unterbrechen die Redebeiträge des Vorstands sowie der Aktionäre und es kommt mitunter zu langen Unterbrechungen, wie im Fall von Covestro und Tui im Jahr 2023 von weit über einer Stunde. Speich plädiert dafür, dass das hybride Format wie auch in anderen europäischen Ländern zum Goldstandard wird. Ähnlich sieht es Peres: „Wir wünschen uns keinen Livestream, sondern ein Hybridformat, indem man Fragen und Anträge stellen kann, ebenso wie die Teilnehmer vor Ort.“ „Wir wünschen uns keinen Livestream, sondern ein Hybridformat, indem man Fragen und Anträge stellen kann, ebenso wie die Teilnehmer vor Ort.“ Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre Unternehmen brauchen Genehmigung für virtuelle HVs Die Diskussion um die virtuelle Hauptversammlung könnte bald wieder aufflammen, denn die meisten Dax-Konzerne haben sich das virtuelle Format für zwei Jahre bis 2025 genehmigen lassen. Die Bundesregierung hatte erst 2022 beschlossen, das virtuelle Format von Hauptversammlungen, welches in der Pandemie eingeführt wurde, dauerhaft zu erlauben. Allerdings müssen sich Konzerne von ihren Aktionären Genehmigungen dafür einholen. „In Deutschland hat sich eine Genehmigung für zwei Jahre als Standard durchgesetzt. Wenn Unternehmen einen längeren Zeitraum zur Abstimmung stellen, ist das Risiko der Ablehnung der Aktionäre zu groß“, so Speich. Es gibt aber auch Ausnahmen wie Siemens Healthineers. Das Unternehmen konnte sich wegen des Mutterkonzerns Siemens, der 75 Prozent der Anteile hält, eine fünfjährige Genehmigung für virtuelle Hauptversammlungen durchsetzen. Ein zu langer Zeitraum für die Deka: „Wir wollen, dass die Unternehmen das Thema jedes Jahr zu Wiederwahl stellen“, sagt Speich. Druck durch Reform des Aktienrechts Der Austausch auf Hauptversammlungen könnte bald auch von anderer Seite unter Druck geraten. „Es gibt Pläne, das Beschlussmängelrecht einzuschränken. Das wäre ein weiterer Rückschlag für die deutsche Aktienkultur“, sagt Speich. „Hauptversammlungen würden damit zu einer Art Notartermin verkommen.“ Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei der Deka Investment Kommt es zu der Abschaffung, hätten Aktionäre noch weniger Rechte, ihre Forderungen durchzusetzen. „Hauptversammlungen würden damit zu einer Art Notartermin verkommen“, befürchtet der Deka-Manager.

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