ChatGPT & Co.: Manchmal Genie, manchmal Wahnsinn

Binnen weniger Wochen eroberte das neuronale Netzwerk ChatGPT des US-Start-ups Open AI im Dezember 2022 die Welt im Sturm. In kürzester Zeit erreichte die generative Künstliche Intelligenz (KI) eine Million Nutzer. Auch für die Finanzabteilung schien es viele naheliegende Verwendungszwecke zu geben. Als vielversprechende Bereiche galten Datenanalyse und -modellierung, Prognose- und Risikoanalyse sowie die Automatisierung von Finanzprozessen. „Das ist ein Thema, dem wir uns alle nähern müssen“, sagte Matthias Heiden, Finanzchef des ERP-Anbieters IFS und früherer CFO der Software AG und von SAP Deutschland, vor ziemlich genau einem Jahr gegenüber FINANCE. „Man kann die generative KI nicht ignorieren und liegen lassen.“ Doch der anfänglichen Euphorie folgte in den vergangenen Monaten eine gewisse Ernüchterung. Denn obwohl CFOs und ihre Corporate-Finance-Teams weiterhin großes Interesse an der neuen Technologie zeigen, ist die Umsetzung oft schwieriger als zunächst erhofft. Unternehmen müssen neue Fähigkeiten entwickeln, Mitarbeiter sollen nun das „Prompten“ (das Eingeben von Befehlen) beherrschen, um die generative Künstliche Intelligenz bestmöglich trainieren zu können. Corporate Finance bei Gen KI eher Late Adopter Speziell die Finanzabteilungen erwiesen sich trotz besagter Euphorie als besonders zögerlich, wie eine ausführliche weltweite Umfrage des Beratungshauses Capgemini ergab. Nur 13 Prozent der Finanzbereiche planten zum Zeitpunkt der Befragung im April 2023 den Einsatz von generativer KI, weit hinter den Spitzenreitern IT (54 Prozent) oder Sales (47 Prozent). Die Befragung wurde zwar vor rund einem Jahr durchgeführt, dennoch zeigt sie, dass Corporate Finance wohl eher zu den Late Adoptern gehört. „Es gibt weiterhin einige Unternehmen und Vorstände, die generative KI für einen Hype halten“, beobachtet Hamidreza Hosseini, Eigentümer des Beratungshauses Ecodynamics. Es gebe Konzerne, die sich mit ChatGPT und ähnlichen Helfern auseinandersetzten; einige probierten aus, andere seien schon dabei, Use Cases zu erarbeiten. Alles zum Thema Robotics & KI Eine Reihe von Routinearbeiten im Finanzbereich lassen sich über Algorithmen bereits automatisiert abwickeln. Selbstlernende Systeme sollen bald noch komplexere Aufgaben stemmen. Generative KI soll nun den entscheidenden Schub bringen. Mehr lesen „Dann gibt es die, die der Meinung sind, dass die generative KI aufgrund von Datenschutzbedenken nicht eingesetzt werden kann. Hier gibt es Anbieter, wie Microsoft oder EU-weite Open Source Large Language Models (LLMs), die durchaus adäquate Lösungen ermöglichen.“ Sorge mit Blick auf den Datenschutz ist aus Sicht von Hosseini nicht berechtigt, zumal CFOs und ihre Managementkollegen auch die Opportunitätskosten bedenken müssten: Laut einer im Auftrag von Google durchgeführten Studie des Forschungsinstituts IW Consult könnte die Bruttowertschöpfung allein im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland durch generative KI um bis zu 7,8 Prozent erhöht werden, was einer Gesamtsteigerung von 56 Milliarden Euro entspräche. Die KI als störrischer Esel Noch ist die Technologie nicht ausgereift genug, um das volle Potential zu entfalten. Das Problem: Die generative Künstliche Intelligenz verhält sich zu oft wie ein störrischer Esel. Manchmal hört sie, manchmal macht sie einfach, was sie will. „Wir haben in den vergangenen Monaten einige Erfahrungen gesammelt und sehr viel gelernt“, sagt IFS-CFO Heiden gegenüber FINANCE. „Und die generative KI halluziniert tatsächlich immer wieder, aber dies ist ein beidseitiger Lernprozess, der insbesondere das sogenannte Prompting betrifft.“ Er ist mittlerweile zum Executive Sponsor für interne KI-Projekte bei dem schwedischen ERP-Anbieter geworden. „Als CFO soll ich als unabhängiger Partner dafür sorgen, dass wir als Organisation effizienter werden.“ Als einen der ersten Schritte hat Heiden mit seinem Team ein KI-Regelwerk erstellt, „damit das Spielfeld klar umrissen ist“, wie er erläutert. Das sei mit einem verbindlichen Training verbunden worden, das jeder Mitarbeiter absolvieren musste, der mit KI im beruflichen Kontext in Berührung kommen wollte. „Uns war klar, dass wir in Ausbildung und Wissen rund um KI investieren müssen. Das ist die Grundlage, damit es im Unternehmen funktionieren kann.“ FINANCE Köpfe Dr. Matthias Heiden Software AG Mehr lesen Beschäftigte im Umgang mit der mächtigen neuen Technologie zu schulen gilt ohnehin als besonders wichtig. Angestellte fürchten nicht selten, durch generative KI ersetzt zu werden. Eine Umfrage des ERP-Anbieters Workday zusammen mit FT Longitude ergab etwa, dass 62 Prozent der Führungskräfte riesiges Potential in der neuen Technologie sehen, aber nur 52 Prozent der Mitarbeitenden. CFOs sollte aber mehr Sorge bereiten, dass nur 23 Prozent der Beschäftigten davon ausgehen, dass der Mensch bei der KI-getriebenen Transformation im Mittelpunkt stehe. „Drei von vier Mitarbeitern glauben nicht, dass ihre Unternehmen die Governance zu KI sauber aufsetzen werden. Es gibt definitiv eine Vertrauenslücke“, konstatiert Jens Löhmar, Technologiechef der Europaniederlassung von Workday. „Im Unternehmen muss ein sehr bewusster Umgang mit dem Thema generative KI stattfinden. Man sollte die Mitarbeiter einbinden, damit kein Vertrauensverlust stattfindet.“ „Es gibt definitiv eine Vertrauenslücke.“ Jens Löhmar, Workday Matthias Heiden ist es stets wichtig, diese Ängste zu zerstreuen. „Es ist doch schön, dass die KI mitunter halluziniert“, ordnet der Finanzchef von IFS ein. „Die Fehler räumen mit dem Vorurteil auf, dass es um das Ersetzen von Menschen geht.“ Sorgen um die Risiken der Technologie seien weiterhin valide. Seiner Meinung nach geht es um Effizienzgewinne und darum, Gestaltungsräume zu schaffen. „Man muss nicht nur Kosten sparen, man kann mit generativer KI stattdessen mit der gleichen Mannschaft mehr Volumina bewältigen.“ Dass Finanzexperten in naher Zukunft Angst um ihre Jobs haben müssen, scheint derzeit sowieso unwahrscheinlich, Anwendungsfälle für KI sind rar gesät. Viele Unternehmen haben Pilotprojekte, die Revolution ist – vorerst – ausgeblieben. Bei IFS hat CFO Heiden derzeit zwei Bereiche in seiner Finanzabteilung, in denen er auf die neue Technologie setzt. „Wir haben im Einkaufsbereich etwas entwickelt, um Lieferanten schneller anbinden zu können“, so der Finanzchef. Empfohlener externer Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Datawrapper, der von der Redaktion empfohlen wird. Sie können den Inhalt mit einem Klick aktivieren. Inhalt entsperren Immer entsperren Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von Datawrapper angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu erfahren Sie bei Datawrapper und unserer Datenschutzerklärung. Einer der zeitraubendsten Prozesse sei die Harmonisierung der allgemeinen Geschäftsbedingungen gewesen, die beschreiben, wie man mit dem jeweiligen Supplier zusammenarbeiten möchte. „Jeder Vertragspartner hat eigene Vorstellungen. Wir haben ein KI-basiertes System entwickelt, in dem wir Templates mit dem künftigen Lieferanten abgleichen können.“ IFS spare dadurch keine Stellen ein, könne Lieferanten aber deutlich schneller aufnehmen. „Außerdem können wir künftige Kosten vermeiden und müssen das Team nicht ausweiten, wenn wir wachsen.“ Ein zweites Anwendungsfeld für die Finanzabteilung von IFS ist der sogenannte Policy Navigator. „Der schafft vorwiegend Freiräume bei täglichen Fragen, beispielsweise zu den Reisekostenrichtlinien.“ Anstatt dass ein Sachbearbeiter 20 Fragen am Tag beantworten muss, übernimmt diese Aufgabe intern ein Chatbot. Andere Konzerne prüfen nach FINANCE-Informationen, ob KI bei der Prüfung von Finanzierungsverträgen helfen kann. Conversational AI mit großem Potential Workday-Manager Löhmar sieht tatsächlich auch im Bereich der Conversational AI, also der sprechenden KI, ein großes Potential: „Wir haben im Planungsbereich ein Pilotprojekt gestartet. Ein Interface soll mit natürlicher Sprache dazu in der Lage sein, KPIs wie Umsätze für bestimmte Regionen herauszusuchen, und weitere Einblicke im Dialog liefern.“ CFOs müssten sich dann nicht mehr durch Menüs klicken, sondern könnten die generative KI als Assistent nutzen. Ein nettes Feature, aber kaum ein Gamechanger. Info 71% der Finanzfachleute glauben, dass sie bis 2030 KI und MachineLearning einsetzen werden62% der Führungskräfte begrüßen den Siegeszug der KünstlichenIntelligenz42% der Beschäftigten gehen davon aus, dass ihr Unternehmen keine klareVorstellung davon hat, welche Systeme vollständig automatisiert werden sollten Über ein Jahr sind ChatGPT und verwandte Systeme der Welt nun bekannt. Bei den Anwendungsfällen handelt es sich bislang eher um kleine Würfe, große Schritte konnten Finanzabteilungen bislang nicht vermelden. Berater Hosseini ist dennoch weiterhin überzeugt: „Generell war es sehr schwierig, unstrukturierte und strukturierte Daten zu analysieren und beispielsweise Analysen mit der natürlichen Sprache durchzuführen, das ist durch ChatGPT leichter geworden.“ Man könne jetzt Datenanalysen mit unterschiedlichen Quellen machen. „Das war für CFOs, Asset Manager und Treasurer früher nur ein Traum, ist in der Realität jetzt aber möglich“, sagt Hosseini. Wichtig sei hierfür aber, dass Unternehmen ihre Daten aufräumen und alle relevanten Informationen erheben können. Denn eine KI könne nur mit dem arbeiten, was sie vorfindet. Ein Bauchgefühl habe sie im Gegensatz zum Menschen nicht. Finanzchefs sollten KI-Ideen begrüßen Auch das Halluzinieren sollte man dieser noch jungen Version der generativen KI verzeihen, meint der Ecodynamics-Berater. Hosseini rät dazu, dass CFOs die Ergebnisse der KI nicht als Quatsch abtun sollten, wenn diese seltsam wirkten. Er empfiehlt vielmehr, offen zu bleiben. „Wenn die generative KI schlauer ist als wir Menschen, wie sollen wir das am Ende merken? Vielleicht ist ein auf den ersten Blick schlechtes Ergebnis am Ende ein Geniestreich, weil ein Mensch nur mit sehr großem Aufwand darauf gekommen wäre.“ Hosseini ist zwar begeistert von der generativen KI, der Faktor Mensch wird aber auch seiner Ansicht nach bedeutend bleiben. „Es wird in Zukunft vieles möglich sein“, so der Berater. „Noch sind menschliche Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen notwendig, um gewisse komplexe Aufgaben auszuführen und zu leiten.“ Letztlich brauche es die Kombination aus Instinkt, Erfahrung und Know-how, um Entscheidungen zu treffen. „Das dauert noch einige Jahre, bis die KI das kann.“

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