Eisbrecher dringend gesucht: Ist das deutsche IPO-Jahr 2024 schon zu Ende?

Es sollte der so dringend benötigte Impuls für den deutschen IPO-Markt sein: der Ende Mai angekündigte Börsengang von Sunrise Medical. Noch „im Laufe des Sommers“ wollte der Rollstuhlhersteller an der Frankfurter Börse gelistet sein. „Dass man sich so kurzfristig doch noch gegen den IPO entschieden hat, ist ein schlechtes Zeichen.“ Marc Osigus, Gründer und Managing Director bei Hauck Aufhäuser Investment Banking Doch es kam ganz anders: Nur eine Woche später kassierte der Eigentümer Nordic Capital die IPO-Pläne wieder – stattdessen wird Sunrise Medical nun an den Private-Equity-Investor Platinum Equity weiterverkauft. „Dass man sich so kurzfristig doch noch gegen den IPO entschieden hat, ist ein schlechtes Zeichen. Vermutlich wurden die Preiserwartungen nicht erfüllt“, erklärt Marc Osigus, Gründer und Managing Director bei Hauck Aufhäuser Investment Banking. Nur zwei Börsengänge in Frankfurt Damit bleibt es vorerst bei zwei deutschen Börsengängen im laufenden Jahr: Renk und Douglas hatten jeweils im ersten Quartal den Sprung aufs Parkett gewagt. Für einen so großen Kapitalmarkt ist das zur Jahresmitte ein äußerst überschaubarer Wert. Info Im Interview mit unserer Schwesterpublikation DerTreasurer berichtete Treasury-Chef Thomas A. Woelk über die neue Finanzierung von Douglas, die rechtzeitig zum Börsengang geplant werden musste. „Die Aktivitäten in den vergangenen zwei, zweieinhalb Jahre sind in der Tat bemerkenswert gering. Vor allem im Vergleich mit dem Boomjahr 2021 ist ein schwerer Einbruch zu verzeichnen“, erklärt Christoph Schalast, Gründer von Schalast Law Tax und Professor mit Schwerpunkt M&A und Private Equity an der Frankfurt School of Finance. Nächster Börsengang gesucht Und wenig deutet momentan darauf hin, dass der Markt zu alter Stärke zurückfindet. Zwar ist die Gerüchteküche stets am Brodeln: So werden aktuell rund ein Dutzend potentielle deutsche IPO-Kandidaten gehandelt, darunter Autodoc, Innomotics (Siemens), Springer Nature (BC Partners), Techem, Stada (Bain/Cinven), Powerco (Volkswagen), N26 oder Motel One. Mehr zum Thema Beginnt jetzt das Bieten um Stada? Die Private-Equity-Investoren Bain und Cinven wollen sich dem Vernehmen nach von Stada trennen und sammeln Angebote. Insider nennen einen Favoriten und eine hohe Bewertung. Mehr lesen Das Problem: Einen wirklich heißen Anwärter sucht man vergebens, denn viele der gehandelten Unternehmen sind hochverschuldet, weisen nicht die geforderte Profitabilität auf oder sind schlicht zu klein, um interessant für Investoren zu sein. Der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass vor allem große und liquide Börsengänge wie der Schweizer Galderma, CVC in Amsterdam oder der spanische Puig besonders nachgefragt sind. Bis vor kurzem hätte Flix wohl am ehesten einige der Kriterien erfüllt. Doch ähnlich wie bei Sunrise Medical scheinen auch die Eigentümer des Münchener Mobilitäts-Start-ups kalte Füße bekommen zu haben und sollen daher nun mit dem PE-Investor EQT über einen Einstieg verhandeln. Flix zerstreut Hoffnung auf IPO Die genauen Gründe, warum sich Flix vermutlich gegen einen Börsengang entschieden hat, sind nicht bekannt. Marktbeobachter vermuten, dass die hohe Bewertung oder der Versuch der Einstufung als Tech-Unternehmen eine Rolle gespielt haben könnten. „Investoren sind aktuell sehr zurückhaltend in Bezug auf Börsenkandidaten im Besitz von Private Equity. Insbesondere, wenn der Preis beim IPO nicht sehr attraktiv ist“, resümiert Osigus. Überhaupt gebe es dieser Tage nicht viele deutsche Unternehmen mit Börsenambitionen, die Investoren ein wirklich innovatives Geschäftsmodell in Verbindung mit soliden Cashflows und Margen bieten könnten. „Was es bräuchte, wäre noch einmal so eine unentdeckte Perle wie Schott Pharma. Das war ein echtes Highlight“, schwärmt ein anderer Investmentbanker, der lieber anonym bleibt. „Hinzu kommt, dass Investoren an der Börse aktuell sehr niedrige Bewertungen und eine riesige branchenübergreifende Auswahl vorfinden. Newcomer haben da automatisch einen schweren Stand“, gibt Osigus zu bedenken. Politisches Umfeld beeinflusst Börsengänge Unabhängig von der aktuellen Unternehmens-Pipeline hat sich nach Einschätzung von Schalast das Marktumfeld in den vergangenen Jahren strukturell verändert zulasten der Erstnotizen: „Ob Corona, Ukraine, Gaza, oder Trump – wir leben in einem Multikrisenumfeld, das inzwischen massiven Einfluss auf die M&A- und IPO-Aktivitäten hat.“ „Wir leben in einem Multikrisenumfeld, das inzwischen massiven Einfluss auf die M&A- und IPO-Aktivitäten hat.“ Christoph Schalast, Gründer von Schalast Law Tax und Professor mit Schwerpunkt M&A und Private Equity an der Frankfurt School of Finance War es demnach schon vor 2020 schwierig, das für Börsengänge so wichtige ‚Window of Opportunity‘ zu erwischen, sei dies nun noch viel komplizierter, dauere länger und koste dadurch auch mehr. Stephan Wyrobisch, Partner Capital Markets bei Pwc Deutschland, ergänzt: „Die erwartete Zinssenkungen der Zentralbanken sind nicht beziehungsweise nur in geringem Umfang gekommen, was ebenso negativ auf die Bereitschaft von Investoren gewirkt hat, um in neu gelistete Unternehmen zu investieren.“ Verkauf als Alternative zum IPO Entsprechend hoch sind die Anforderungen der Investoren. „Ich verstehe daher Unternehmen wie jüngst Sunrise Medical sehr gut, wenn sie bei ihren Plänen nicht alles auf eine Karte setzen, sondern zweigleisig fahren“, so Schalast. Entsprechend habe sich das Dual-Track-Verfahren, also die parallele Vorbereitung eines Verkaufs an einzelne Investoren sowie eines Exits über die Börse, inzwischen am Markt als Standard etabliert. Vor allem Private Equity fahre mit dieser Strategie gut, findet Schalast: „Dass beide Kanäle bespielt werden, ist mit Blick auf den finalen Preis sicher förderlich.“ Mehr zum Thema Achterbahnfahrt bei deutschen Börsengängen Ein gefloppter Börsengang in den USA, ein Musterschüler und ein Last-Minute-Rückzug. Die Bilanz der deutschen Börsengänge ist durchwachsen. Was lief schief im Jahr 2023? Mehr lesen Bewertungen bei IPOs zu hoch? Apropos Preis: Damit im zweiten Halbjahr doch noch Bewegung in den deutschen IPO-Markt kommt, müssen Osigus zufolge vor allem die Eigentümer der Unternehmen – insbesondere die Private-Equity-Investoren – ihre derzeitigen Vorstellungen nach unten revidieren: „Da ist vielerorts noch immer zu viel Phantasie in den Bewertungen. Kehrt hier mehr Realismus ein, werden wir sicher noch ein paar IPOs im Herbst zu sehen bekommen.“ „Kehrt hier mehr Realismus ein, werden wir sicher noch ein paar IPOs im Herbst zu sehen bekommen.“ Marc Osigus, Gründer und Managing Director bei Hauck Aufhäuser Investment Banking Auch Schalast ist zuversichtlich, dass in diesem Jahr am Ende zwei, drei Kandidaten den Sprung wagen werden. „Vielleicht handelt es sich sogar um Unternehmen, die zum jetzigen Zeitpunkt keiner ernsthaft auf dem Zettel hat.“ Immerhin: Trotz geringer Action wird es am deutschen IPO-Markt auf jeden Fall spannend bleiben. Info Im Jahr 2023 gab es nur drei Börsengänge in Deutschland: Ionos, Thyssenkrupp Nucera und Schott Pharma. Im FINANCE-Interview berichtete Ionos-CFO Britta Schmidt, warum sie findet, dass die eigentliche Arbeit erst nach dem IPO beginnt.

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