Die Lösung der kurzfristigen Liquiditätskrise wird bei vielen Unternehmen die Saat für die nächste Finanzierungskrise sein, warnen zum Beispiel etliche Ratingagenturen. Tatsächlich rücken jetzt schon bei den Finanzierungspartnern vieler CFOs Themen wie Covenants, Kreditsicherheiten und Vertragsdetails in den Vordergrund. Was da auf CFOs zukommt, fragen wir den Wirtschaftsanwalt Sven Prüfer und den Finanzierungsberater Michael Westhoven.
Herr Westhoven, Herr Prüfer, die Beschränkungen des öffentlichen Lebens werden schrittweise gelockert, bei vielen Betrieben wird wieder mehr produziert. Dennoch glauben Sie, dass die heftigsten Auswirkungen der Pandemie auf die Unternehmensfinanzierung erst noch bevorstehen. Warum?
Westhoven: Ja, die härtesten Folgen der Coronakrise für die Finanzierung kommen wahrscheinlich noch. Wir haben bislang erst die erste Welle gesehen. In einigen Branchen sind die Umsätze massiv eingebrochen, es bestand bei vielen Unternehmen ein unmittelbarer Finanzierungsbedarf, viele haben Corona-Notkredite in Anspruch genommen. Auch eine zweite Welle hat bereits begonnen, in der Unternehmen, die ohnehin angeschlagen waren, in Schwierigkeiten geraten sind.
Die dritte und volkswirtschaftlich wichtigste Welle steht aber noch aus: Bei gesunden Unternehmen, die bisher gut durch die Krise gekommen sind, werden wir in den kommenden Monaten die Auswirkungen des gesamtwirtschaftlichen Rückgangs sehen. Selbst überschaubare Umsatzrückgänge können viele Unternehmen schnell in Schieflage bringen, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird.
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Mit welchen Folgen rechnen Sie konkret?
Westhoven: Wichtig wird sein, wie die Banken sich in einer solchen Lage verhalten werden, und das hängt stark davon ab, wie sehr sich diese Makro-Auswirkungen auf ihre eigenen Bilanzen durchschlagen. Käme es zu einer weiteren Finanzkrise, wäre zu befürchten, dass Banken verstärkt auf die Verletzung von kreditvertraglichen Verpflichtungen wie Covenant-Brüche reagieren werden. Etwa indem sie Neuziehungen ablehnen, existierende Engagements fällig stellen und notleidende Kredite verkaufen. Die Herausforderung für Unternehmen ist es daher, sich Liquidität zu verschaffen, ohne dabei jedoch existierende kreditvertragliche Verpflichtungen aus den Augen zu verlieren.
Prüfer: Die Regierung hat den Unternehmen mit der Coronavirus-Gesetzgebung Zeit verschafft, etwa mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September. Aber dieser Stichtag bedeutet auch, dass – soweit es keine Verlängerung der Coronavirus-Gesetzgebung geben sollte – zum 1. Oktober wieder alle fälligen Rechnungen und alle neu aufgenommenen Kredite in der Prüfung von Insolvenzantragsgründen berücksichtigt werden müssen. Dann können auch die Kredite, die Unternehmen derzeit unter vereinfachten Bedingungen aufnehmen können, zum Problem werden.
Stichtag für Covenant-Prüfung genau im Blick behalten
Für Unternehmen ist es ein Dilemma. Sie müssen rechtzeitig für Liquidität sorgen, können aber schwer prognostizieren, wie lange die Krise anhalten wird. Was sollten Finanzverantwortliche deshalb tun?
Prüfer: Unternehmen müssen schon jetzt genau darauf achten, wie sich neu aufgenommene Liquidität auf ihre Finanzierungsstruktur insgesamt auswirkt. Werden durch die neuen Verträge bestehende Covenants verletzt? Oder könnte es in Zukunft dazu kommen? Erfahrungsgemäß kann schon ein Umsatzrückgang von 10 bis 20 Prozent ausreichen, um Unternehmen im Hinblick auf die wichtige Covenant-Kennzahl Ebitda/Leverage unter Druck zu bringen.
Westhoven: Hinzu kommt: CFOs müssen im Blick haben, welche sonstigen Beschränkungen in anderen Verträgen über die Neuaufnahme von Schulden vereinbart wurden. Viele Kreditverträge etwa beschränken die Möglichkeit, für neue Schulden Sicherheiten zu bestellen. Insolvenzrechtlich steht mit dem 30. September ein wichtiges Datum an. Dennoch sollte man auch bereits den 30. Juni beachten – den Stichtag für viele Covenant-Prüfungen bei Banken. Denn in einer Krise, deren Auswirkungen auf die Banken noch nicht absehbar sind, sollte man jede Verletzung von kreditvertraglichen Verpflichtungen soweit wie möglich vermeiden.
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Haben Unternehmen diese Faktoren Ihrer Ansicht nach derzeit nicht genug im Blick?
Westhoven: Im Mittelstand sind unserer Beobachtung nach viele Unternehmen noch nicht so aufgestellt, dass sie in einem sehr dynamischen Marktumfeld jederzeit eine Prognose über Liquidität, Covenants und sonstige Verpflichtungen erstellen können. Dort wo dies nicht der Fall ist, sollte zunächst schleunigst eine Bestandsaufnahme der eigenen Finanzierungsrisiken durchgeführt werden. Auf dieser Grundlage kann dann ein integriertes Tool zum Monitoring von Liquiditäts-Covenants, Sicherheiten, Basket- und Eigenkapital auf Wochenbasis erstellt werden. Idealerweise wird dieses Tool automatisch durch regelmäßige Sales Forecasts aktualisiert und ermöglicht die Simulation unterschiedlicher Planungs-Szenarien.
Wöchentlicher Blick auf Liquidität und Covenants
Wie ist es mit Unternehmen, die noch keinen ausreichenden Überblick haben? Wie geht man vor, um so ein Tool inmitten der Krise aufzubauen?
Westhoven: Im ersten Schritt ist es ausreichend, das über Excel-Tabellen darzustellen, in einem zweiten Schritt empfiehlt sich die Überführung in eine professionelle Planungssoftware. Wenn es bereits eine unterjährige Budgetplanung gibt, sollte eine Implementierung in wenigen Wochen möglich sein. Wichtig ist, die Bestandsaufnahme jetzt zu machen, um absehen zu können, ob man gegebenenfalls bei einzelnen Finanzierungsverträgen Vereinbarungen verletzen könnte. Nur so kann man das Problem aktiv angehen. Zentral ist, die Liquiditätslage und die Einhaltung der Covenants wöchentlich zu prüfen.
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Welche Optionen haben Unternehmen, wenn Sie feststellen, dass es möglicherweise zu Covenant-Brüchen oder Verletzungen anderer Vereinbarungen kommen wird?
Prüfer: Wenn das so ist, sollten Unternehmen möglichst frühzeitig mit ihren Geldgebern sprechen. Möglicherweise kann eine Covenant Holiday Period oder ein Covenant Reset vereinbart werden. Dabei sollte man aber sicherstellen, dass man das Problem nicht nur kurzfristig aus dem Weg räumt, sondern eine langfristig tragfähige Lösung findet. Außerdem ist es wichtig, bei jedem Zugeständnis immer zu prüfen, ob es Auswirkungen auf andere Finanzierungsvereinbarungen hat. Wenn ich beispielsweise einem Geldgeber mehr Sicherheiten gewähre, dann kann das dazu führen, dass andere Finanzierer ebenfalls Nachforderungen stellen werden.
Westhoven: Wenn sich abzeichnet, dass keine Einigung mit den bestehenden Gläubigern möglich sein wird, dann sollten sich Unternehmen aktiv mit Refinanzierungsalternativen befassen – auch wenn viele das erstmal nicht wollen. Gerade jetzt sind Kreditfonds und auch Private-Equity-Investoren noch sehr aktiv und haben Geld zu vergeben – je länger die Krise anhält, umso schwieriger könnte es werden, aus diesen Quellen Geld zu erhalten.
Direct Lending und Private Equity als Ausweg?
Direct Lending ist für Unternehmen aber viel teurer. Zudem gibt es im Mittelstand noch viel Skepsis gegenüber Private-Equity-Investoren.
Westhoven: Sicherlich ist Geld von Direct Lending Funds gerade in einer Krisensituation nicht günstig, aber in einer Notsituation kann dies immer noch eine bessere Alternative sein, als andere vorstellbare Optionen.
Prüfer: Wenn man aber sieht, dass auch das nicht mehr funktioniert, sollte man nicht zu viel Zeit damit verlieren, zu versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Dann macht es Sinn, sich auf eine Insolvenz in Eigenverwaltung vorzubereiten. Eine Eigenverwaltung setzt allerdings voraus, dass das Unternehmen noch über ausreichend Liquidität verfügt. Ein klarer Schnitt ist ab einem gewissen Punkt daher die bessere Alternative.
Info
Sven Prüfer ist Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Allen & Overy. Er berät vor allem bei M&A-Transaktionen und komplexen Restrukturierungen, einschließlich der gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen.
Michael Westhoven ist Partner bei Livingstone Partners. Er ist seit 2018 bei der Beratungsorganisation tätig. Er verfügt über 25 Jahre Transaktionserfahrung. Spezialgebiete sind zudem Media & Technologie.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.