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Das bedeutet das Brexit-Votum für CFOs

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Gefahr für den Londoner Finanzplatz: Die Ablehnung des Brexit-Abkommens dürfte nun die Verlagerungen in Gang setzen.
QQ7/iStock/Thinkstock/Getty Images

Das Brexit-Chaos spitzt sich zu: Das britische Unterhaus hat das mühsam ausgehandelte Austrittsabkommen mit der EU abgelehnt. Zwar war das Scheitern des Deals erwartet worden. Dass die Niederlage für die britische Premierministerin Theresa May so deutlich ausfiel, überraschte allerdings: 432 Abgeordnete stimmten am gestrigen Abend gegen das Austrittsabkommen, lediglich 202 Abgeordnete dafür.

Wie es nun weitergeht ist völlig unklar: Von einem ungeregelten Brexit am 29. März über eine Verschiebung des Austrittsdatums bis hin zu einer Komplettabsage des Brexits scheint derzeit alles möglich. Ein neues Referendum oder gar Neuwahlen in Großbritannien sind nicht ausgeschlossen.

Deutsche-Bank-Chef setzt auf Brexit-Verlängerung

Während die Märkte zunächst kaum auf das Votum des britischen Parlaments reagierten – das britische Pfund wertete gegenüber Euro und Dollar sogar kurzzeitig auf und der britische Aktienleitindex FTSE 100 verlor nur leicht – sorgt der geplatzte Deal für Bestürzung in der deutschen Unternehmenswelt.

Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bezeichnete die Ablehnung des Austrittsabkommens als „dramatisch“: Ein ungeordnetes Ausscheiden des Vereinigten Königreichs riskiere ein bilaterales Außenhandelsvolumen Deutschlands von über 175 Milliarden Euro an Ein- und Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen. 

Der Bankenverband warnte vor einer Schockstarre: „Die Briten müssen jetzt klären, ob sie politisch noch handlungsfähig sind“, so Hauptgeschäftsführer Andreas Krautscheid. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, rechnet nun damit, „dass man den Ausstieg um mindestens drei Monate verschieben wird“, wie er beim Neujahrsempfang seiner Bank am gestrigen Dienstagabend in Berlin sagte.

Ungeregelter Brexit wäre ein Schlag für Banken

Für die Banken steht einiges auf dem Spiel – und damit auch für ihre Firmenkunden: Viele Großbanken steuern erhebliche Teile ihres Firmenkundengeschäfts aktuell aus London heraus. Sollte es wirklich zu einem ungeregelten Brexit am 29. März kommen – und diese Gefahr ist mit dem gestrigen Votum deutlich gestiegen – dürften Banken einige Dienstleistungen für europäische Kunden bereits in zehn Wochen nicht mehr von der Themse aus erbringen.

Finanzchefs müssen deshalb Kredite und Derivategeschäfte überprüfen und gegebenenfalls anpassen. So dürften die allermeisten deutschen Unternehmen in ihrem Konsortialkredit eine oder mehrere Banken haben, die das Funding heute aus London heraus stellen. Das wird nach einem ungeregelten Brexit aber nicht mehr möglich sein. Einige Experten rechnen daher bereits mit Kreditengpässen, die insbesondere Mittelständler hart treffen würden. 

Kapitalmarktrechtler: Jetzt kommen die Bankenumzüge

Die Vorbereitungen der Banken laufen deshalb inzwischen auf Hochtouren: Bafin-Präsident Felix Hufeld hatte am Montag erklärt, dass derzeit 45 Banken dabei sind, sich in Deutschland ein Standbein zu schaffen oder ihre Präsenz hierzulande auszubauen.

„Einige Banken haben bis zur letzten Sekunde auf ein Wunder gehofft.“

Jochen Kindermann, Simmons & Simmons

Der Beratung EY zufolge planen Banken Vermögensverlagerungen im Wert von 800 Milliarden britischen Pfund. 27 von 48 Universal- und Investmentbanken am Standort London haben angekündigt, dass sie Aktivitäten und Personal auf den Kontinent verlagern wollen.

Bislang sind diese Pläne allerdings erst zum Teil umgesetzt worden: „Einige Banken haben bis zur letzten Sekunde auf ein Wunder gehofft“, sagte Jochen Kindermann, Kapitalmarktrechtler bei der Anwaltskanzlei Simmons & Simmons gegenüber FINANCE. „Jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei: Es muss jetzt verlagert werden.“ Die in den vergangenen Monaten im Hintergrund getroffenen Vorbereitungen würden nun bald sichtbar, meint Kindermann. Er warnt davor, auf eine Verschiebung oder ein zweites Referendum zu setzen: „Auch hier wäre ein Ausgang unklar.“

Brexit-Steuerbegleitgesetz soll Rechtssicherheit schaffen

Parallel dazu haben die europäischen Regulierungsbehörden damit begonnen, Übergangsfristen zu schaffen, um die Stabilität der Finanzmärkte nicht zu gefährden. Mit Blick auf das Euro-Clearing hat die EU-Kommission etwa kurz vor Weihnachten beschlossen, dass britische Clearinghäuser für ein Jahr begrenzt in der EU aktiv bleiben können. Auch für die laut britischem Recht geschlossenen Verträge soll die Kontinuität vorübergehend gewährleistet bleiben.

In Deutschland wiederum soll das Brexit-Steuerbegleitgesetz die Effekte eines harten Brexit abmildern: „Dieses sieht unter anderem vor, dass Banken, die bereits eine Erlaubnis in Deutschland beantragt, aber noch nicht erhalten haben, für 20 Monate ihre Geschäft fortführen dürfen“, erklärt Anwalt Kindermann.

Damit würde der deutsche Gesetzgeber de-facto die Übergangsfrist bis Ende 2020 umsetzen, die das gerade vom britischen Parlament abgelehnte Brexit-Abkommen ohnehin vorsah. Allerdings ist das Gesetz noch nicht verabschiedet: „Wir brauchen nun schnell Rechtssicherheit, dass diese Brücke tatsächlich kommt“, fordert Kindermann.

Davon würde jedoch nur Banken profitieren, die ihr Geschäft nach Deutschland verlagern. Einige Häuser, mit denen deutsche CFOs zusammenarbeiten, ziehen aber auch nach Paris, Amsterdam und Irland – und die irische Bankenaufsicht hat bereits signalisiert, dass sie es nicht schaffen wird, den gesamten Stapel der Beantragungen abzuarbeiten.

CFOs müssen Lieferketten und IT rüsten

Spätestens jetzt müssen auch die Unternehmen selbst, die bislang eine eher abwartende Haltung eingenommen haben, in den Aktionsmodus schalten. „Unternehmen müssen jetzt unbedingt ihre Lieferketten prüfen und genau analysieren, was sie in Großbritannien kaufen und verkaufen, die Auswirkungen von Zöllen hinterfragen und darüber nachdenken, ob sie überhaupt über die Ressourcen verfügen, um zusätzliche Zollformalitäten abzuwickeln“, warnt John Hammond, Partner und Leiter der Brexit-Gruppe der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. 

Viele CFOs, die in ihrem Unternehmen die IT-Verantwortung tragen, stehen zudem vor Herausforderungen auf der technischen Seite. „Ab dem 30. März 2019 müssen deutsche Unternehmen ihre britischen Geschäftspartner und Kunden, dortige Rechenzentren oder IT-Dienstleister behandeln, als säßen sie außerhalb der EU“, warnt Bitkom-Präsident Achim Berg.

Nicht jedes Unternehmen ist auf diesen Fall vorbereitet. Wer die Regelung missachte, und zum Beispiel Kunden- oder Auftragsdaten im Vereinigten Königreich verarbeiten oder speichern lasse, verstößt Berg zufolge gegen die Datenschutzgrundverordnung.

Um dies zu verhindern, müssten Unternehmen ihre Standardvertragsklauseln anpassen oder sich verbindliche interne Datenschutzvorschriften genehmigen lassen, was insbesondere für Mittelständler in der kurzen Umstellungsphase kaum zu schaffen sei.

desiree.backhaus[at]finance-magazin.de

Info

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