Newsletter

Abonnements

Lieferkettenfinanzierung: CFOs setzen auf Just-in-case-Strategie

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken
Wegen der anhaltenten Verspannungen in den Lieferketten setzen CFOs vermehrt auf SCF-Produkte. Foto: kamonrat/stock.adobe.com

Chip-Mangel, ein im Suez-Kanal feststeckender Frachter oder aufgrund von Corona geschlossene Fabriken und Häfen in China – die Einschläge in den globalen Lieferketten stellen den weltweiten Handel und die Finanzabteilungen der Unternehmen vor große Probleme. Wie CFOs und Treasurer mit den Herausforderungen umgehen und welche Finanzierungstrends sich abzeichnen, berichtet Robert Schindler, Bereichsvorstand der Commerzbank, im Gespräch mit FINANCE. 

Herr Schindler, wie bekommen Sie in den Gesprächen mit Ihren Kunden die momentanen Spannungen in den Lieferketten mit?

Zunächst können wir feststellen, dass der globale Handel im vergangenen Jahr zu einem wichtigen Treiber der wirtschaftlichen Erholung geworden ist. Gleichzeitig haben die Einschläge in den globalen Lieferketten wie beispielswiese die vorübergehende Blockade des Suezkanals durch die „Ever Given“ gezeigt, wie anfällig unsere globalen Lieferketten aufgrund der eng vernetzten Einkaufs- und Produktionsprozesse geworden sind.

Welche Branchen hat das am stärksten beeinträchtigt?

Sicherlich die Autoindustrie, die mit den Engpässen bei Mikrochips zu kämpfen hat. Am Ende waren aber alle Unternehmen betroffen, die zum Beispiel wegen der geschlossenen chinesischen Häfen in Folge der Zero Covid Policy auf Containerware gewartet haben. Von unseren Kunden hören wir, dass sich die Lage wohl erst zum Ende dieses Jahres wirklich verbessern dürfte.

Was heißt das für die Strategie von Finanzabteilungen?

Mit Engpässen und Lieferkettenstörungen werden die Unternehmen auch in Zukunft umgehen müssen, denn mit einer signifikanten De-Globalisierung der Lieferketten rechnen wir nicht. CFOs und Treasurer müssen sich bemühen, diese Risiken abzuschwächen.

Und wie könnte eine solche Risikomitigierung aussehen?

Da zeichnet sich momentan ein Paradigmenwechsel im Produktionsprozess ab. Viele Unternehmen wollen auf Nummer sicher gehen und legen sich mehr Vorräte ins Lager, um im Fall von Lieferverzögerungen handlungsfähig zu bleiben. Statt „just-in-time“ lautet die Devise inzwischen „just-in-case“, also gerüstet zu sein, falls etwas passiert. Es verschiebt sich der Fokus von CFOs und Treasurern, weg von der Optimierung der Kapitalbindung hin zur Sicherstellung von Produktionsprozessen.

Robert Schindler ist Bereichsvorstand der Commerzbank. Foto: Commerzbank

Aber ein größerer Lagerbestand bindet mehr Liquidität – kein Zustand, den die Finanzabteilung liebt? Und auch die Banken haben ihre Kunden jahrelang gedrängt, ihr Working Capital zu optimieren.

Die neue Lage ist keine Situation, mit der der Mittelstand in Deutschland nicht umgehen könnte. Aber sicher würde der Finanzbereich bei einem Strategiewechsel mehr gefordert, vor allem dem Treasury kommt eine essenzielle Bedeutung zu. Es muss die Cash-Planung auf die Veränderungen ausrichten und für die nötigen Finanzierungsmittel sorgen. Zugleich erweitert sich aber auch der Produktbaukasten für das Treasury. Banken stellen effiziente Finanzierungsstrukturen zur Verfügung, die auf die veränderten Bedürfnisse zugeschnitten sind. 

Alles zum Thema

Supply Chain Finance

Die Lieferkettenfinanzierung hilft Unternehmen dabei, das Working Capital zu optimieren und Liquidität freizusetzen. Auch Lieferanten profitieren davon, weil ihre Finanzierungskosten sinken. Gerade in Krisenzeiten – wie zuletzt in der Corona-Pandemie – wirkt Supply Chain Finance unterstützend. Alle Infos dazu finden Sie auf dieser Themenseite.

Welche Lösungen werden gerade am häufigsten nachgefragt?

Ein Produkt, das sich in der Krise bewährt hat, ist Supply Chain Finance (SCF). Der SCF-Markt hat seit Corona ein Wachstum von mehr als 30 Prozent pro Jahr verzeichnet. Die Kunden entscheiden sich zunehmend für den Einsatz von SCF-Lösungen, weil sie damit ihre Lieferkette finanziell stärken und gleichzeitig die Partnerschaften mit ihren Lieferanten vertiefen können.

Viele Mittelständler empfinden die Einführung von SCF-Lösungen allerdings als zu teuer und aufwendig und finanzieren lieber über Eigenmittel und Kreditlinien. Wie ist Ihr aktueller Blick auf den Markt?

Die technische Integration wird immer einfacher. Und was die Kosten angeht: Für das Unternehmen ist doch wichtig, eine Lösung einzukaufen, die sich am Ende rentiert. In der Praxis amortisiert sich ein SCF-Programm bereits nach kurzer Zeit. Der große Vorteil von SCF ist ja, dass Unternehmen ihre Funding-Quellen breiter aufstellen und zusätzlich ihre strategischen Lieferanten unterstützen. Das war sogar ein Hauptargument für eine SCF während der Pandemie. Und schauen wir doch mal mit offenem Visier: Lieferkettenstörungen werden uns auch zukünftig immer wieder begegnen. Deshalb sollte SCF im Unternehmen eher Standard als die Ausnahme sein.

Inwiefern wirkt sich das Thema ESG auf die Lieferkettenfinanzierung aus?

Viele Treasurer fragen aktiv nach Lösungen, die ESG und Nachhaltigkeitskriterien mit SCF verbinden. Dabei gibt es viele interessante Ansätze, beispielsweise dass die Vorteile von SCF insbesondere den Lieferanten mit gutem ESG-Rating angeboten werden. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Jahren bedeutendes Wachstum und spannende Produktinnovationen im Bereich SCF und ESG sehen werden.

thomas.holzamer[at]finance-magazin.de

Thomas Holzamer ist Redakteur bei FINANCE sowie Chef vom Dienst bei FINANCE-Online und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Banken-Sektor, speziell das Firmenkundengeschäft. Er hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Thomas Holzamer mehr als 12 Jahre in den Redaktionen der Mediengruppe Offenbach-Post, zunächst als verantwortlicher Redakteur für Sonderpublikationen, später im Lokalen.