Newsletter

Abonnements

Standpunkt: Warum mich das Gejammer der Immobilienbranche nervt

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken
Die hohen Zinsen bringen die Immobilienbranche in die Bredouille. Nach Jahren des ungebremsten Wachstums eine notwendige Korrektur. Foto: Who is Danny – stock.adobe.com
Die hohen Zinsen bringen die Immobilienbranche in die Bredouille. Nach Jahren des ungebremsten Wachstums eine notwendige Korrektur. Foto: Who is Danny – stock.adobe.com

Die Lage der Immobilienindustrie ist dramatisch. Es wird kaum mehr gebaut, Projektentwickler schlittern in die Insolvenz, große Immobilienkonzerne kämpfen ums Überleben. Selbst Branchenprimus Vonovia hat für 2023 einen Baustopp für alle Neuprojekte verkündet – und verkauft selbst im ungünstigen Umfeld Immobilien, um sich zu entschulden. Gleichzeitig halten sich Finanzierer bei der Kreditvergabe zurück, Bewertungen sinken auf breiter Front und Neubauten werden kaum mehr verkauft.

Die Situation ist verfahren, keine Frage. Dazu trägt auch bei, dass die Politik mit teils überbordenden Regularien die Vorschriften für das Bauen in den vergangenen Jahren immer weiter hochgefahren hat. Diese Vorgaben sind per se nicht schlecht, wird hier doch – anders als in anderen Ländern – solide und nachhaltig gebaut. Allerdings erweist sich das zunehmend als kontraproduktiv. Obwohl der Bedarf groß ist, wird Bundeskanzler Olaf Scholz das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr deutlich verfehlen. Bezahlbarer Wohnraum ist ein immens wichtiges Thema und birgt in Zeiten zunehmender politischer Radikalisierung sozialen Sprengstoff.

Steigende Zinsen als Hauptproblem

Speziell die steigenden Zinsen sind für die Immobilienbranche ein großes Problem, schließlich sind viele Unternehmen hochgradig fremdfinanziert. Der Markt für neue Baukredite ist extrem eingebrochen. So berichtet das Analysehaus Barkow Consulting über den schwächsten Juli aller Zeiten angesichts eines Volumens von 14,3 Milliarden Euro in Deutschland – stolze 32 Prozent unter dem gleichen Monat im Vorjahr. Teure Refinanzierungen von auslaufenden Krediten können Eigentümer und Immobilienunternehmen in die Bredouille bringen.

Dass nun Vertreter der Immobilienbranche Zinssenkungen fordern, ist menschlich vielleicht nachvollziehbar. Doch es zeigt auch: Nach zehn Jahren mit Niedrigstzinsen und enorm steigenden Immobilienpreisen ist die Branche null vorbereitet auf den Zinsanstieg.

Die Immobilienparty ist vorbei

Große Immobilienkonzerne ächzen unter einer enormen Schuldenlast. So hat sich etwa Vonovia mit dem Kauf der Deutschen Wohnen schuldentechnisch in eine sehr schwierige Situation manövriert. Andere Unternehmen wie die Adler Group haben zweifelhafte Fusionen vollzogen, die sie später an den Rand der Pleite brachten. Auch der Immobilien-Asset-Manager Corestate konnte sich gerade noch so retten und mit den Bondholdern auf einen Schuldenverzicht einigen.

Dabei kam die Zinssteigerung mit Ansage: Die EZB hat zwar lange nicht auf die steigende Inflation reagiert, es war aber absehbar, dass sie irgendwann handeln muss. Nun ist die Party vorbei. Die EZB hat die Zinsen im September noch einmal auf 4,5 Prozent angehoben, und dass das der Peak war, ist nicht ausgemacht. Zwar rechnen viele Beobachter damit, dass die Währungshüter das Zinsniveau nicht weiter steigern werden. Doch bleibt die Inflation hoch – derzeit sind die Energiepreise im Fokus – muss die Zentralbank unter Christine Lagarde noch einmal reagieren.

Nur aus Rücksicht auf eine verfehlte Strategie vieler Immobilienunternehmen die Zinsen zu senken, wäre kontraproduktiv. Die EZB muss in erster Linie die noch zu hohe Inflation bekämpfen, während die Immobilienbranche sich eigenständig wieder solide aufstellen muss. Das dabei womöglich nicht alle Branchenvertreter wirtschaftlich überleben werden, ist zum Glück ein wichtiger und bereinigender Marktmechanismus.

Markus Dentz ist Chefredakteur von FINANCE und der Fachzeitschrift DerTreasurer. Seine journalistischen Schwerpunktthemen sind Unternehmensfinanzierung, Restrukturierung und Treasury. Nach dem Studium und dem Volontariat beim F.A.Z.-Institut stieß Dentz zur FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH, einer Tochter der F.A.Z.-Verlagsgruppe und Herausgeberin von DerTreasurer und FINANCE. Mehrfach wurden seine Artikel aus den Bereichen Private Equity und M&A mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.