Insolvenz und Bilanzfehler: Das ist los beim Kofler-Konzern

Vor rund zwei Wochen hat die Bafin publik gemacht, dass das Social-Media-Unternehmen The Social Chain in seiner Bilanz 2021 einen ziemlich dicken Patzer hatte. Das Unternehmen, das nun einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung stellen wird, hatte den operativen Cashflow in seiner 2021er-Bilanz rund 60 Millionen Euro zu hoch ausgewiesen. Anstatt eines Plus von 23 Millionen Euro hätte der E-Commerce-Spezialist ein Minus von 38 Millionen Euro ausweisen müssen. The Social Chain: LBBW stellte 50-Millionen-Kredit FINANCE hatte deshalb schon vor der Ankündigung des Insolvenzantrags bei The Social Chain nachgehakt, wie es zu diesem gravierenden Fehler in der Kapitalflussrechnung kommen konnte. Der Löwenanteil des falsch bilanzierten Betrags, nämlich 50 Millionen Euro, stammt demnach aus einem Darlehen, das The Social Chain 2021 im Zuge der 212 Millionen Euro schweren Übernahme der DS-Gruppe aufgenommen hatte. Ein Teil des M&A-Deals wurde in Aktien bezahlt, die 100-Millionen-Euro-Barkomponente finanzierte The Social Chain laut Geschäftsbericht 2021 rund zur Hälfte aus Fremdkapital. Hierfür stellte die Landesbank Baden-Württemberg ein über nur neun Monate laufendes Darlehen über jene 50 Millionen Euro zur Verfügung. Dieses war mit 2,75 Prozent über dem 3-Monats-Euribor verzinst. Info The Social Chain wollte ursprünglich den Bereich E-Commerce erobern. Mit ihren rund 80 Millionen Followern planten die Berliner, ihre Produkte wie Porridge, Fitnesszubehör oder Boxspringbetten über ihre Plattformen an die Kunden zu bringen. Doch der Plan geht bislang nicht auf: Es handele sich um einen Gemischtwarenladen ohne übergreifende Strategie, so die Kritik. Bald firmiert das Unternehmen in die Tomorrow Now AG um und will sein Geschäftsmodell anpassen. Wie kam es dazu, dass dieses Darlehen den Weg in den operativen Cashflow fand – und nicht in den Cashflow aus Finanzierungstätigkeit? „Der Grund waren fehlerhafte Einstellungen in der Konsolidierungs-Software, bei denen Bewegungen in Konten den falschen Posten innerhalb der Kapitalflussrechnung zugeordnet waren“, schreibt The Social Chain auf Nachfrage. Demnach handele es sich um die weitverbreitete Software „Lucanet“. Auch knapp 10 Millionen Euro aus einem Aktienverkauf, die ebenfalls falsch zugeordnet worden waren, seien durch die Fehlkonfiguration im falschen Bilanzposten aufgetaucht. Massive Fragen bei internen Prozessen Der von der Bafin monierte Fehler wirft vor allem Fragen bezüglich der internen Kontrollen und Prozesse bei The Social Chain auf. So war die fehlerhafte Zuordnung offenbar erst aufgefallen, als die Finanzaufsicht die Bilanzen durchforstete. „Im Rahmen der Prüfung der Bafin wurde unter anderem die Kapitalflussrechnung des Geschäftsjahres 2021 nachvollzogen und folglich die Fehler im systemischen Aufbau aufgedeckt“, heißt es seitens des Unternehmens. Hauptproblem war offenbar der Mehraufwand durch die Post-Merger-Integration der DS-Gruppe. Denn zum Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2021 „befanden wir uns gleichzeitig in der Einführung des Konsolidierungs-Tools als auch in der Erstkonsolidierung und damit Integration der Finanzzahlen der gesamten DS-Gruppe in den The Social Chain Konzern“. Das habe die Komplexität der Erstellung erhöht, so die Berliner. „Im Nachhinein betrachtet wurden die zunächst eingestellten Zuordnungen sicherlich nicht kritisch genug überprüft.“ The Social Chain Auch auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft RSM, Abschlussprüfer von The Social Chain, wirft der Fall kein gutes Licht. Immerhin hätte die falsche Zuordnung spätestens bei der Überprüfung der Bilanzen auffallen sollen. Der systemische Aufbau der Prozesse sei nun vollständig nachvollzogen, neu eingerichtet und mehrfach überprüft worden, heißt es von The Social Chain. Man habe zudem „eine Reihe von Kontrollmaßnahmen im Unternehmen eingerichtet, die einen weiteren Fehler verhindern sollen“. Der Konzern räumt indes ein: „Im Nachhinein betrachtet wurden die zunächst eingestellten Zuordnungen sicherlich nicht kritisch genug überprüft.“ Das Unternehmen habe die Fehler ausführlich „im Rahmen der Hauptversammlung der The Social Chain AG am 21. Juni 2023 sowie die regelkonforme rückwirkende Korrektur im Konzernabschluss zum 31. Dezember 2022 den Aktionären und Aktionärsvertretern“ erläutert. SdK ruft zur Interessenbündelung auf Die Bilanzexpertin Carola Rinker zeigt sich im Gespräch mit FINANCE sehr erstaunt wegen des Bilanzierungsfehlers bei The Social Chain: „Das sind eigentlich sehr eindeutige Themen. Wenn ich ein Darlehen aufnehme, ist das niemals dem operativen Cashflow zuzuordnen.“ Letztlich habe The Social Chain seinen Aktionären suggeriert, man verdiene mit dem laufenden Geschäft Geld. „Es fließt aber mehr ab als zu.“ „Wenn ich ein Darlehen aufnehme, ist das niemals dem operativen Cashflow zuzuordnen.“ Carola Rinker, Bilanzexpertin Ihr Urteil ist daher eindeutig: „Mir fällt es schwer zu glauben, dass das ein Fehler war. Spätestens, wenn man sieht, dass der operative Cashflow und der Verlust so weit auseinanderklaffen, muss man eine Plausibilitätsprüfung machen.“ Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), deren Hauptversammlungssprecherin Rinker ist, ruft wegen des Kursverfalls der Aktie von The Social Chain nun zur Interessenbündelung auf. The Social Chain will Insolvenzantrag stellen The Social Chain ist insbesondere bekannt, weil Georg Kofler („Die Höhle der Löwen“) als Hauptaktionär und seit Januar auch als CEO agierte. Es ist nur eine von mehreren Baustellen des TV-„Löwen“ und seinem CFO Andreas Schneider. Denn The Social Chain ist pleite, wie seit dem gestrigen Montag bekannt ist. Das Unternehmen hatte in einer Mitteilung angekündigt, Antrag auf Insolvenz in Eigenregie stellen zu wollen. Im Zuge dessen hatten zuerst COO Stefan Kiwitt sowie kurz darauf Vorstandschef Kofler ihre Ämter mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Grund für den Insolvenzantrag sind die Bilanzierungsfehler jedoch nicht. Vielmehr hat eine nichtgeglückte Kapitalerhöhung dazu geführt, dass es keine „positive Fortbestehungsprognose“ mehr gibt, wie der Konzern mitteilte. Das kommt insofern überraschend, da der Vorstand im Geschäftsbericht 2022 „keine wesentliche Gefährdung der Unternehmensfortführung“ feststellen konnte. Das war im April dieses Jahres. Gut 4,5 Millionen Aktien wollten die Berliner vor wenigen Wochen platzieren, doch ein Backstop-Investor hat seine Zahlungszusagen laut Unternehmen nicht erfüllt. Die dringend benötigten Finanzmittel konnte The Social Chain nicht anderweitig auftreiben. Kofler-Investment war schon länger unter Druck Es ist der vorläufige Tiefpunkt einer rasanten Talfahrt des E-Commerce-Spezialisten. Der Aktienkurs von The Social Chain dümpelte schon in der vergangenen Woche bei 1,50 Euro auf einem Allzeittief. Die Berliner kommen dadurch nur noch auf eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 32 Millionen Euro, in Spitzenzeiten lag der Börsenwert des selbsternannten Social-Media-Pioniers noch bei knapp 800 Millionen Euro. Alles zum Thema Restrukturierung Sparprogramme, Verlagerungen, Bilanzsanierung: Kaum ein Unternehmen kommt über die Jahre ohne eine Restrukturierung aus. Für Sanierungsberater ist das ein gutes Geschäft. Mehr lesen CEO Kofler hatte, damals als Aufsichtsrat, noch im Jahr 2021 das Ziel MDax ausgegeben. Von diesen hochtrabenden Ambitionen ist das Unternehmen nun meilenweit entfernt. Die Umsätze sind in den vergangenen Monaten eingebrochen. Im ersten Quartal 2023 hat sich der Umsatz auf 58 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahreswert halbiert. Die Strategie, Social Media Brands automatisiert skalieren zu können, verfing nicht ansatzweise. Böse Zungen sprechen sogar von Luftschlössern, die seitens des Unternehmens aufgebaut wurden. Nun also die Insolvenz. Für CEO Georg Kofler geht es als Hauptaktionär um viel Geld. Insbesondere weil der nicht näher genannte Backstop-Investor aus Sicht von The Social Chain einer „vertraglich unwiderruflich zugesicherten“ Einzahlung nicht nachgekommen ist, dürften die kommenden Wochen und Monate spannend bleiben. Aber eins ist klar: Der Höhenflug von The Social Chain ist jetzt endgültig beendet. Info Update 25. Juli, 13.42 Uhr: Der Aufsichtsrat der The Social Chain hat die Rechtsanwälte Gerrit Hölzle und Thorsten Bieg von der Kanzlei Görg Insolvenzverwalter in den Vorstand der Gesellschaft – jeweils in der Funktion als Insolvenzvorstände – berufen. Wenige Stunden später hat der Vorstand des Unternehmens den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gestellt. Das Gericht hat dem Antrag bereits entsprochen.

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