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Ingrid Jägering: CFO im Krisenmarathon

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Ingrid Jägering: Unsere CFO des Monats hat bei Leoni keine leichte Aufgabe.
Leoni

Neun Monate Krisenmarathon hat Ingrid Jägering mittlerweile hinter sich gebracht. Im August 2019 wechselte sie als CFO vom Lichtkonzern Osram zum Kabel-und Bordnetzspezialisten Leoni, der zu diesem Zeitpunkt bereits schwer in die roten Zahlen gerutscht war. Jägering folgte damals offenbar dem Ruf von Leoni-Chef Aldo Kamper. Dieser musste zu dem Zeitpunkt die Doppelrolle als CEO und CFO schultern, nachdem der damalige Finanzvorstand Karl Gadesmann nach mehrmalig kassierten Prognosen das Unternehmen im März 2019 mit sofortiger Wirkung verließ.

Kamper und Jägering kennen sich gut von den gemeinsamen Tagen bei Opto Semiconductors, der Halbleitersparte von Osram, wo beide bereits ein eingespieltes Team waren. „Die vergangenen Monate waren für Leoni sicher nicht einfach und jeder ist sich darüber im Klaren, dass die kommenden Monate herausfordernd sein werden“, kommentierte die mit Restrukturierungsmaßnahmen bestens vertraute Finanzmanagerin damals noch die Lage ihres neuen Arbeitgebers. Durch die Arbeit bei der Osram-Sparte war sie bereits das raue Umfeld für Autozulieferer gewöhnt. Dass sie allerdings in der nachfolgenden Zeit zweimal in den Abgrund blicken würde, dürfte sie zu dem Zeitpunkt nicht erwartet haben.

FINANCE-Köpfe

Ingrid Jägering, Leoni AG

Ihre Karriere startet Ingrid Jägering 1998 bei Siemens und hat dort mehrere Führungspositionen im In- und Ausland inne, unter anderem als CFO der Windenergiesparte Siemens Wind Power in Dänemark. Nach vierzehn Jahren bei Siemens geht Jägering zu dem Großmotorenbauer Man Diesel & Turbo, wo sie zwischen 2012 und 2016 als Geschäftsführerin und CFO verschiedener Geschäftsbereiche tätig ist. Anschließend übernimmt sie verschiedene Führungspositionen bei Osram Opto Semiconductors. Seit August 2019 ist Jägering Finanzchefin bei dem Autozulieferer Leoni.

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Gewaltiger Cash-Drain bei Leoni

Zeitgleich mit Jägering kam auch Hans-Joachim Ziems an Bord. Offensichtlich unter dem Druck der finanzierenden Banken installiert, sollte der bekannte Sanierungsexperte zunächst als Berater die neue Management-Strategie auf Herz und Nieren prüfen. Doch dabei blieb es nicht: Seit März sitzt Ziems als Chief Restructuring Officer (CRO) mit im Vorstand.

Jägering dürfte zu Beginn ihren Hauptfokus auf eine Lösung für den gewaltigen Cash-Drain gelegt haben. So war die Cash-Position des Konzerns bis Ende Dezember 2019 von 1 Milliarde auf 624 Millionen Euro sehr stark geschrumpft. Auch operativ sah es nicht gut aus: Für das Gesamtjahr 2019 stand ein Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 384 Millionen Euro in den Büchern. 2018 wies Leoni noch ein Gewinn von 144 Millionen Euro aus. Der Umsatz rutschte im gleichen Zeitraum zwar nicht so stark, aber immerhin doch von 5,1 auf 4,8 Milliarden Euro ab. Abhilfe sollte das im Herbst gestartete Programm Value 21 schaffen, mit dem das Unternehmen ab 2022 500 Millionen Euro jährlich einsparen wollte.

Leoni löste unter CFO Jägering Schuldschein ab

Im Dezember 2019 gab der Kabelhersteller schließlich ein Sanierungsgutachten nach dem IDW Standard S 6 in Auftrag. Kurz darauf war es dann Zeit für die erste Bewährungsprobe: Für März stand die Tilgung eines Schuldscheins in Höhe von 170 Millionen Euro an. Nach Verhandlungen mit den Hausbanken, zu denen nach FINANCE-Informationen die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Unicredit, die BayernLB, die Citibank und die HSBC gehören, durfte Leoni die Verbindlichkeiten aus Krediten zurückzahlen. Damit hatte die Finanzchefin die unmittelbare Liquiditätskrise abgewendet.

Statt einer Verschnaufpause sorgte dann die fortschreitender Corona-Pandemie dafür, dass sich die Lage abermals verschärfte: Ende März ließ Leoni schließlich wissen, dass das Unternehmen einen neuen, staatlich abgesicherten Kredit benötige, um Liquiditätslücken aufgrund des Coronavirus zu schließen – für Jägering war es damit schon das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, dass sie dringend frisches Geld auftreiben musste.

Ihren eigentlichen Plan, Factoring-Forderungen zu Geld zu machen, konnte sie während der Krise nicht umsetzen, da die meisten wesentlichen Kunden in der Automobilindustrie ihre Produktion eingeschränkt hatten. Im April dann die Erlösung: Das Unternehmen erhielt einen neuen Kredit über 330 Millionen Euro, für den die Bundesregierung und die Länder Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu 90 Prozent bürgen. Zünglein an der Waage bei der Kreditbewilligung dürfte das Sanierungsgutachten gespielt haben. Das Mitte März bestätigte Gutachten war um „mögliche Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Unternehmen aktualisiert“ worden.

Abgerauscht: Kursverlauf der Leoni-Aktie auf Jahressicht

Leoni-CFO Jägering verschafft sich zwei Jahre Luft

Mit Hilfe des Kredits, der bis zum 31. Dezember 2022 läuft und zu „marktüblichen Konditionen“ gewährt wurde, sieht sich Leoni bis Ende 2022 durchfinanziert. Zwei Jahre bleiben Jägering also Zeit, um das Nürnberger Unternehmen wieder in die Spur zu bringen – nicht gerade einfach, wo doch die Coronakrise die Zukunft momentan absolut unberechenbar macht.

Auf der Agenda steht beispielsweise der angekündigte Verkauf der Kabelsparte („Wire & Cable Solutions Division“), in der aktuellen Situation dürfte Leoni dafür aber kaum einen guten Preis realisieren. Oder wird Leoni am Ende noch selbst zum Übernahmekandidaten? Immerhin erreichten die Aktien Anfang April ein neues Allzeittief von 5,24 Euro. Aktuell sind die Papiere für 6,50 Euro zu haben, was auf Jahressicht immer noch einen gewaltigen Verlust von fast 70 Prozent darstellt. Vor der Finanzchefin liegt nach dem Etappensieg noch viel Arbeit.

martin.barwitzki[at]finance-magazin.de

Info

Mehr über die bisherige Karriere von Finanzchefin Ingrid Jägering erfahren Sie auf ihrem Profil bei FINANCE-Köpfe.

Eine Übersicht über alle bisherigen CFOs des Monats gibt es auf der dazu gehörigen FINANCE-Themenseite CFO des Monats.

Lesen Sie mehr über die aktuellen Entwicklungen bei dem Automobilzulieferer auf unserer Themenseite zu Leoni.