„Wir wollen der Konsolidierer werden“

Herr Frick, Mahle steckt in einer schwierigen Situation, im März verließ dann noch CEO Jörg Stratmann recht plötzlich das Unternehmen. Waren Sie auch überrascht? Der Aufsichtsrat bat mich darum, zusätzlich zu meinen Aufgaben interimistisch auch den CEO-Posten zu übernehmen. Diesem Wunsch bin ich nachgekommen. Insofern waren die vergangenen Wochen wirklich sehr anspruchsvoll, denn mein Arbeitspensum hat sich deutlich erhöht. Was waren dabei die besonderen Herausforderungen? Natürlich habe ich als CFO immer eng mit dem CEO zusammengearbeitet, aber es gab doch zahlreiche Aufgaben, in die ich mich nun erst einmal neu eindenken musste. Derzeit fließt eher mehr Zeit in die CEO-Aufgaben. Durch die Unterstützung meiner Teams und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen in der Geschäftsführung läuft das sehr gut. Da bislang noch kein Nachfolger bekannt ist, werden wir Sie länger auf dem CEO-Posten sehen? Ich werde diese Aufgabe zusätzlich so lange wie erforderlich erfüllen. Sobald wir Klarheit über die Zeitschiene zum Nachfolger haben, werden wir dazu kommunizieren. Aus meiner persönlichen Sicht habe ich schon die für mich schönste Aufgabe im Unternehmen – ich bin gerne CFO. Mahle-CFO musste für Jörg Stratmann einspringen Ihr Vorgänger Jörg Stratmann hat das Unternehmen nach offizieller Verlautbarung „im besten Einvernehmen“ verlassen. Öffentlich wurde Stratmann von den Mitarbeitern wegen des deutlichen Stellenabbaus hart kritisiert. Aus Branchenkreisen heißt es, dass er in der Coronakrise „abgetaucht“ sein soll, weswegen der Aufsichtsrat habe reagieren müssen. Wie sehen Sie das? Der Aufsichtsrat und der CEO haben sich einvernehmlich darauf verständigt, ihre Zusammenarbeit zu beenden. Zu den Einzelheiten dieser Vereinbarung kann ich mich nicht äußern, da es sich um eine Angelegenheit zwischen den Vertragsparteien handelt und ich die Inhalte nicht kenne. Neben der Personalrochade läuft es mit dem bisherigen Geschäftsmodell mit Fokus auf Verbrennungsmotoren bei Mahle derzeit nicht wirklich rund. Der Jahresfehlbetrag ist von 2019 auf 2020 nochmal um rund 200 Millionen Euro auf 430 Millionen Euro gewachsen. Wie wollen Sie aus der Krise herauskommen? Mahle steht, wie viele andere Unternehmen der Branche auch, mitten in der Transformation. Der Jahresfehlbetrag war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass wir im Berichtsjahr bilanzielle Vorsorge für dringend erforderliche Restrukturierungsmaßnahmen getroffen haben. Wir haben also weiter in unsere Zukunft investiert. Das Ebit vor Restrukturierungsaufwendungen betrug 155 Millionen Euro – für mich ein guter Wert angesichts der herausfordernden Bedingungen. Er zeigt, dass wir die Auswirkungen des deutlichen Umsatzrückgangs auf unser Ergebnis erfolgreich begrenzen konnten. Und wie steht es um die Verschuldung? Wir konnten unsere Nettoverschuldung von 1.340 Millionen Euro auf 925 Millionen Euro abbauen. Wir wollen bis 2030 den Anteil des Umsatzes, den wir unabhängig von Pkw-Verbrennern erzielen, von aktuell 60 Prozent auf 75 Prozent steigern. Dafür werden wir uns auf unsere Strategiefelder Elektromobilität und Wasserstofftechnologie konzentrieren. Aber wir setzen auch weiterhin auf Verbrennungsmotoren. Mahle setzt weiter auf Verbrennungsmotoren Gerade dieses Geschäftsfeld wird von Experten als nicht zukunftsfähig eingestuft. Warum halten Sie daran fest? Wir sehen das nicht so. Wir bieten die Produkte so lange an, wie sie von unseren Kunden nachgefragt werden. Und das ist mit Blick auf die globalen Märkte durchaus der Fall. Zumal der Verbrennungsmotor, wenn er mit synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff betrieben wird, einen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Und darum geht es doch. Natürlich wird sich der Marktanteil verschieben. Aber ich sehe in unserer Strategie sehr gutes Potential, hier mit unserer nachgewiesenen Kompetenz eine Kosten- und Marktführerschaft und damit die Rolle des Konsolidierers zu übernehmen. Und dieser Vorteil reicht für Sie wirklich aus? Wie Sie ja selbst schon sagten, schlagen Ihre Wettbewerber einen anderen Weg ein, Continental hat etwa die Antriebssparte abgespalten. Wenn Unternehmen diesen Weg einschlagen und fast ausschließlich auf Antriebstechniken jenseits des Verbrenners setzen, passiert das meist durch eine Abspaltung. Kapitalmarktorientierten Unternehmen fällt dies deutlich leichter. Aufgrund unserer Eigentümerstruktur mit einer gemeinnützigen Stiftung als einziger Gesellschafterin wäre das rechtlich so für uns gar nicht möglich. Was wir aber durchaus in Erwägung ziehen, ist zu prüfen, wie wir uns rechtsstrukturell den passenden Rahmen schaffen können, um die Rolle als Konsolidierer auszuüben. Eine weitere Option ist, uns zusätzliche Expertise in den neuen Geschäftsfeldern durch Zukäufe ins Haus zu holen. „Wir bieten die Produkte so lange an, wie sie von unseren Kunden nachgefragt werden.“ Michael Frick, CFO von Mahle FINANCE-Themenseite Restrukturierung Sparprogramme, Verlagerungen, Bilanzsanierung: Kaum ein Unternehmen kommt über die Jahre ohne eine Restrukturierung aus. Für Sanierungsberater ist das ein gutes Geschäft. Mehr zum Thema Woran denken Sie genau? Für unsere „New Energy Vehicle“-Aktivitäten versuchen wir stets, neue Markttendenzen zu antizipieren und neue technologische Entwicklungen nicht nur im eigenen Haus voranzutreiben. In dem Kontext kann es durchaus interessant sein, sich über Akquisitionen zu verstärken. Das wird dann aber sehr gezielt und punktuell der Fall sein. Mahle platzierte erste öffentliche Anleihe Kommt der Wandel zu den neuen Technologien nicht zu spät? Immerhin haben Sie in Ihrem klassischen Geschäftsfeld schon im vergangenen Jahr deutlich weniger umgesetzt. Insgesamt ist der Umsatz um fast 17 Prozent auf 9,8 Milliarden Euro zurückgegangen, nachdem er in den Vorjahren schon deutlich geschrumpft ist. Lassen Sie mich den Umsatzrückgang im vergangenen Jahr erklären: Treiber dafür waren die massiv rückläufigen Automärkte – ausgelöst durch die Pandemie. Während 2019 noch 94 Millionen Pkw hergestellt wurden, waren es 2020 nur 73 Millionen. Das hat sich natürlich auch auf unsere Fertigungsleistung ausgewirkt. Ich gehe aber davon aus, dass die Märkte nach Corona wieder zulegen werden, auch wenn es nach unserer Einschätzung noch mehrere Jahre dauern wird, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Auch an der Struktur der Verbindlichkeiten haben Sie gearbeitet und eine Anleihe platziert. Mit welchem Hintergrund? Im Mai haben wir eine 750-Millionen-Euro-Anleihe begeben. Damit werden wir zwei andere Anleihen refinanzieren: Die eine lief bereits mit einem Volumen von 300 Millionen Euro im Mai dieses Jahres aus, die andere über 500 Millionen Euro ist nächstes Jahr im Mai fällig. Die neue Anleihe war für uns ein Erfolg, sie war mit einem Orderbuch von knapp 1,5 Milliarden Euro deutlich überzeichnet. Dafür haben Sie sich zum ersten Mal ein Rating von Moody’s eingeholt. Dieses bringt ja auch Transparenz mit sich, die nicht jedes Stiftungs- und Familienunternehmen schätzt. Warum haben Sie sich trotzdem dafür entschieden? Der Markt für ungeratete Anleihen hat sich strukturell verändert, und Transaktionssicherheit war uns sehr wichtig. Insgesamt dauerte der Prozess ungefähr ein halbes Jahr. Wir führten viele ausführliche Gespräche mit der Ratingagentur. Diese waren natürlich spannend, weil wir das so noch nicht kannten. Der Austausch hat uns auch geholfen, unsere Gedanken in Richtung Kapitalmarkt auszurichten. „Ich gehe aber davon aus, dass die Märkte nach Corona wieder zulegen werden, auch wenn es nach unserer Einschätzung noch mehrere Jahre dauern wird, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird.“ Michael Frick, CFO von Mahle Können Sie ein Beispiel nennen? Wir mussten zum Beispiel ein Ratingbuch aufsetzen, das eine sehr vertiefte Logik hat. Das half uns, den Gesamtkontext der einzelnen Produkte in der Transformation noch einmal durch die Kapitalmarktbrille zu sehen und auch die Akzeptanz der Außensicht zu verstehen. Mahle erhält kein Investmentgrade Mahle hat mit Ba1 aber kein Rating im Investmentgrade erhalten. Sind Sie dennoch zufrieden mit der Bewertung? Mit dem Rating von Ba1 sind wir zufrieden, weil wir zum einen frisch aus dem Corona-Jahr kommen und zum anderen noch zwei Notches über den durchschnittlichen Ratings von Autozulieferern liegen. Mit Blick nach vorne streben wir aber weiterhin das Investmentgrade an. Mahle Mahle muss sich transformieren. Wann könnte das der Fall sein? Ich denke, wenn die Unternehmensentwicklung in den nächsten Jahren fortgeschritten sein wird, rückt das Ziel Investmentgrade näher. Ist Mahle jetzt komplett durchfinanziert? Ja, auf jeden Fall. Wir haben neben der Anleihe noch Schuldscheine auf dem Markt, die in drei bis vier Jahren auslaufen. Insgesamt haben sie ein Volumen von rund 750 Millionen Euro. Daneben setzen wir auf eine Revolving Credit Facility in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Bisher ist diese Linie aber weitestgehend ungezogen geblieben. Während der ersten Corona-Phase haben unsere Kernbanken zur Überbrückung der in dieser Zeit bestehenden Unsicherheit im Juni 2020 eine zusätzliche syndizierte Kreditlinien in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Nach unserer jüngsten Anleihebegebung haben wir den ungezogenen Überbrückungskredit aber wieder aufgelöst. Worauf müssen Sie als Stiftungsunternehmen besonders achten? Uns ist es wichtig, dass wir nachhaltig finanziert sind. Unsere Stiftung unterstützt uns auf unserem Transformationsweg, weil wir eine hohe Thesaurierungsrate haben. Da die Mahle-Stiftung keine Familienstiftung, sondern gemeinnützig ist, kann sie keine Kapitalerhöhung tragen. Sie erhält eine Dividendenzahlung. Deshalb müssen wir uns aus dem laufenden Cashflow finanzieren, der von 2019 bis 2020 von 514 auf 877 Millionen Euro gestiegen ist. Damit wollen wir auch die Restrukturierung bezahlen. Geld für die Restrukturierung ist vorhanden. Was ist da konkret Ihr Schlachtplan für die nächsten Monate? Unsere Restrukturierung ist vorrangig transformationsgetrieben. Das gilt für unsere Standorte weltweit. Auch für Deutschland und Stuttgart. In Europa haben wir bereits in den vergangenen Jahren deutliche Anpassungen vorgenommen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das Gleiche gilt für Nordamerika, wo wir in Mexiko signifikante Kapazitäten aufgebaut und in den USA parallel graduell abgebaut haben. Das ist insgesamt ein anspruchsvoller Prozess, der sich weiter fortsetzen wird. Wir richten dabei unseren Fokus darauf, unsere Mitarbeiter in die neue Produktwelt mitzunehmen und ihnen dafür die entsprechenden Angebote über Weiterbildung und Requalifizierung zu machen. Wo uns das nicht gelingt, sind wir bemüht, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln einen sozialverträglichen Ausgleich zu finden. „Wir müssen wachsam bleiben, denn Risiken in den Märkten bestehen weiterhin.“ Michael Frick, CFO von Mahle Mahle hat noch einen weiten Weg vor sich. Welche Erfahrung aus den vergangenen Monaten nehmen Sie für sich mit? Mahle hat sich in der Coronakrise als sehr resilient erwiesen. Wir waren methodisch gut vorbereitet. Davon werden wir nicht abweichen, um handlungsstark zu bleiben. Wir müssen wachsam bleiben, denn Risiken in den Märkten bestehen weiterhin. sarah.backhaus[at]finance-magazin.de Info Die wichtigsten News aus der Welt der Restrukturierung finden Sie auf der Themenseite Restrukturierung oder im neuen Themen-Hub Transformation by FINANCE.

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