Organhaftung: Im Insolvenzfall wird es kritisch

Am Donnerstag, den 22. Februar 2024 beginnt am Landgericht München I das komplexe Organhaftungsverfahren im Fall Wirecard. Gegenstand sind vom Insolvenzverwalter vorgeworfene Pflichtverletzungen bei diversen Kreditvergaben in Höhe von insgesamt 140 Millionen Euro. Die Beschuldigten stehen schon seit der Insolvenz von Wirecard im Zentrum der Aufmerksamkeit: Neben den Ex-Wirecard-Vorständen Markus Braun und Jan Marsalek richtet sich das Organhaftungsverfahren auch gegen die beiden ehemaligen Aufsichtsräte Wulf Matthias und Stefan Klestil. Betroffen dürfte laut dem Branchenmagazin „Juve“ auch der Ex-CFO der deutschen Börse, Thomas Eichelmann, sein. Eichelmann war der letzte amtierende Aufsichtsratsvorsitzende des Skandalunternehmens. Doch worauf kommt es in einem Organhaftungsverfahren wirklich an? Wer haftet bei Pflichtverletzungen konkret, welche Rolle spielen D&O-Versicherer und wie schützen sich Unternehmen vor Haftungsfällen? Organe haften mit Privatvermögen Die Organhaftung gestaltet sich je nach Gesellschaftsform unterschiedlich: „Während bei einer OHG jeder Gesellschafter mit seinem gesamten Vermögen haftet, haftet die GmbH oder AG zunächst nur mit dem Vermögen der Gesellschaft“, erklärt Thomas Dömmecke, Restrukturierungs- und Wirtschaftsrechtler bei Schultze & Braun. Bei der Aktiengesellschaft spielten weitere Akteure mit: Zum einen der teils sehr große Gesellschafterkreis, der kein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand hat. Und darüber hinaus der den Vorstand kontrollierende Aufsichtsrat. Fallen dem Aufsichtsrat Pflichtverletzungen des Managements auf, die sich monetär auf die Gesellschaft auswirken, werden im Namen der Gesellschaft Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand gestellt. „In einem solchen Fall haftet der Vorstand mit seinem Privatvermögen“, ordnet Dömmecke ein. Und nur in Ausnahmefällen ist diese Haftung in ihrem Betrag begrenzt. Rechtsanwalt Thomas Dömmecke ist Partner am Bremer Standort von Schultze & Braun. Foto: Schultze & Braun Insolvenz: Besondere Pflichten für den Aufsichtsrat In den vergangenen Jahren ist neben dem Management allerdings zunehmend der Aufsichtsrat in den Fokus geraten. Und Haftungsklagen werden sowohl gegen den Vorstand als auch den Aufsichtsrat erhoben – so auch bei Wirecard. Gemäß einem Urteil des Bundesgerichtshofs soll der Aufsichtsrat in einem insolvenzreifen Unternehmen darauf hinwirken, dass der Vorstand rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt und die Zahlungsflüsse kontrolliert. Er muss damit seine Kontrollintensität erhöhen. „Verstößt er hiergegen schuldhaft, kann er der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein“, heißt es in dem Urteil. Befindet sich ein Unternehmen in der Krise, muss der Vorstand besonderes Engagement in die Beseitigung der Krise stecken. Dies wiederum muss der Aufsichtsrat prüfen. Mit dem Starug besteht jetzt sogar die Pflicht, Krisen früh zu erkennen und sie als Vorstand aktiv zu managen. Begeht also der Vorstand eine Pflichtverletzung – stellt er etwa keinen Insolvenzantrag, obwohl dieser hätte gestellt werden müssen – kann dies auch eine Haftung für die Aufsichtsratsmitglieder nach sich ziehen. D&O-Haftung schmälern durch Dokumentation Werden Organe eines Unternehmens wegen ihrer amtlichen Handlungen vor Gericht gebracht, liegt es bei ihnen, zu beweisen, dass sie pflichtgemäß gehandelt haben. „Ein erster Schritt, um das Haftungsrisiko zu minimieren, ist die detaillierte Dokumentation ihrer Entscheidungsfindung“, stellt Restrukturierungsspezialist Dömmecke fest. Darüber hinaus sichern sich Organe in aller Regel mit einer Directors & Officers (D&O)-Versicherung ab. „Wenn eine D&O-Versicherung besteht, ist zudem die rechtzeitige Meldung an den Versicherer wichtig“, so Restrukturierer Dömmecke. Diese schützt in zweifacher Hinsicht: Einerseits schützt sie die Organe vor unbeschränkter persönlicher Haftung. Andererseits wird auch das Unternehmen abgesichert, indem die D&O-Versicherung als solventer Schuldner auftritt. Dadurch können Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer und Vorstände erst ermöglicht werden. Die D&O-Versicherung nimmt zwingend am eintretenden Organhaftungsprozess teil und tritt typischerweise denjenigen bei, die wegen Schadensersatz beklagt sind. Damit stellt die Versicherung sicher, ob ihre Leistung greift oder nicht: Eine Versicherung deckt bekanntlich nur bei Versehen die Pflichtverletzung ab. Bei bewusstem Fehlverhalten oder gar einem Verstoß gegen Strafgesetze, wie etwa im Falle der Bilanzmanipulation, deckt die Versicherung den Schaden nicht. Wirecard braucht ein Versicherungs-Konsortium Bei hohen Haftsummen und den damit verbundenen Risiken ist es üblich, dass sich Versicherungen zu einem Konsortium zusammenschließen. „So können etwa manche Risiken für einen einzelnen Versicherer zu hoch sein, um sie selbstständig abzudecken. Untereinander wird dann innerhalb des Konsortiums geregelt, welche Versicherungsgesellschaft welches Risiko trägt“, erläutert Thomas Dömmecke. Bei Wirecard stellt nach Informationen des „Handelsblatts“ ein Konsortium aus sechs Versicherern unter Leitung von Chubb, ein international tätiger Züricher Versicherungskonzern, eine Managerhaftpflicht über 125 Millionen Euro. Ob der Schaden bei Wirecard vorsätzlich herbeigeführt wurde, müssen diverse Prozesse in dem Komplex noch zeigen. Erst dann entscheidet sich, ob die D&O-Versicherung zahlt oder nicht. Letzteres wäre etwa der Fall, wenn die Organe kriminell gehandelt haben – diese Frage wird bei Wirecard umfassend juristisch aufgearbeitet. Info Im Fall Wirecard stehen folgende Schadensersatzforderungen im Raum: Forderungsanmeldungen von ehemaligen Aktionären im Wert von rund 7 Milliarden Euro, die jedoch zurückgestellt werden, sowie eine ausgereichte Publikumsanleihe über 500 Millionen Euro, aus der auch Schadensersatzforderungen abgeleitet werden. Weiterhin wird über die Rückforderung einer Wandelanleihe in Höhe von 900 Millionen Euro gestritten. Zudem umfasst der Bericht ein Kapmug-Verfahren, gegen dessen gerichtliche Aussetzung sich wiederum der Insolvenzverwalter wehrt. Chubb will Brauns Anwaltskosten nicht zahlen Wie kompliziert es sich gestaltet, wann, ob und in welcher Höhe die Versicherung greift, zeigt der Streit zwischen Markus Braun und seinem Versicherer wegen der horrenden Anwaltskosten: Braun strengt Anwältinnen und Anwälte aus fünf Kanzleien an. Bloomberg berichtete, Braun fordere von seiner Versicherung auch die Übernahme von Kosten für eine PR-Beratung, deren Arbeit zu seiner Verteidigungsstrategie gehöre. In dieser Angelegenheit musste Braun zuletzt einen Rückschlag hinnehmen: Das Landgericht Düsseldorf hat im Eilverfahren entschieden, dass die vom Zweitversicherer seiner Managementhaftpflichtversicherung geforderte 10 Millionen Euro nicht gezahlt werden müssen. Bislang hat die D&O-Versicherung schon knapp 15 Millionen Euro investiert. Das Gericht verwies auf eine Kette identischer Pflichtverletzungen, die versicherungsrechtlich zu einem einzigen Versicherungsfall addiert werden könnten.

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