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Ukraine-Krise: Märkte preisen Krieg nicht ein

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Russische Panzer bei Manöver an der Grenze zur Ukraine: Die Märkte ignorieren das Kriegsrisiko. Foto: picture alliance/dpa/Tass/Erik Romanenko
Russische Panzer bei Manöver an der Grenze zur Ukraine: Die Märkte ignorieren das Kriegsrisiko. Foto: picture alliance/dpa/Tass/Erik Romanenko

Die militärische Konfrontation im Russland-Ukraine-Konflikt hat sich zugespitzt: Militärexperten zufolge haben russische Truppen ihre Angriffspositionen bezogen, im Hinterland werden Feldlazarette errichtet und Blutkonserven eingelagert. Der US-Geheimdienst wagte sich vergangene Woche sogar mit der präzisen Prognose vor, dass Russland am morgigen Mittwoch eine Invasion in die Ukraine beginnen werde.

„Doch die Märkte haben wenig bis gar kein Kriegsrisiko eingepreist“, stellen Marktstrategen der UBS in einer gestern erschienenen Kurzstudie überrascht fest. Ihre Analyse erstreckt sich über zahlreiche Segmente am Kapitalmarkt – viele davon wie etwa Zins-, Währungs- und Rohstoffmärkte sind auch für CFOs relevant.

Keine Panikkäufe bei Palladium

Beispiel Rohstoffe: Nach Einschätzung der UBS seien die Gaspreise in den vergangenen 30 Tagen, in denen die Kriegsgefahr deutlich zugenommen hat, nicht volatiler geworden. An den Spot-Märkten sind die Gaspreise sogar wieder gesunken – zum Teil deutlich.

Auch der Russland-Indikator Palladium hat keine Risikoprämie eingepreist. Auf Russland entfallen 40 Prozent der weltweiten Palladium-Produktion, harte Finanzsanktionen könnten den Handel mit diesem wichtigen Rohstoff schwer beeinträchtigen. Doch die Palladiumpreise haben sich seit Anfang Januar lediglich leicht von ihren Zwei-Jahres-Tiefständen entfernt, und dies nach Einschätzung der UBS-Experten auch noch im Gleichschritt mit dem Wiederanstieg der globalen Fahrzeugproduktion, in der viel Palladium verarbeitet wird.

Mehr Angst vor der Fed als vor Russland

Am Kapitalmarkt müsste man von einer Schwäche des Euro ausgehen, sofern der Markt eine hohe Kriegsgefahr in Europa sähe – zumal der Dollar in Krisenzeiten die klassische Fluchtwährung ist. Doch der Euro hat seit Jahresbeginn nur leicht gegenüber dem Dollar nachgegeben, laut Berechnungen der UBS genau in dem Ausmaß, das angesichts der auseinanderlaufenden Zins- und Inflationsperspektiven zwischen Europa und den USA zu erwarten gewesen wäre. „Was die Märkte fürchten und einpreisen, ist der Entzug von Liquidität durch die Zentralbanken“, lautet das Urteil der UBS-Strategen – und nicht etwa einen Ukraine-Krieg.

„Die Märkte duplizieren die Vorlage von 2014, als Russland die Krim annektierte und der Westen nur moderate Sanktionen verhängte.“

Zum gleichen Schluss kommt die Schweizer Großbank auch beim Blick auf die Aktien- und Rentenmärkte: Europäische Konsumgüteraktien haben in den vergangenen Monaten wesentlich besser abgeschnitten als die Aktien ihrer Wettbewerber aus den USA. Auch dies deutet laut UBS darauf hin, dass die Zinsängste die US-Märkte stärker belasten als die europäischen. „Ein Krieg oder explodierende Gas- und Heizkosten in Europa würden bei den dortigen Konsumenten jedoch die Konsumneigung schmälern“, vermuten die Analysten. Entsprechend spräche die Outperformance europäischer Konsumgüterwerte dafür, dass diese Sorge ausgeblendet werde.

Die Märkte spielen das 2014er-Krim-Szenario

Am Anleihemarkt wiederum habe sich seit Jahresbeginn die Renditedifferenz zwischen europäischen und US-Hochzinsanleihen um 23 Basispunkte eingeengt, die europäischen Papiere also besser abgeschnitten. Auch dies wäre nach Ansicht der UBS anders, wenn die Märkte eine reelle Kriegsgefahr in Europa sähen. Einzig bei russischen und ukrainischen Aktien, Anleihen und Devisen sei eine Kriegsrisikoprämie deutlich messbar.

Fazit der UBS: „Die Märkte duplizieren die Vorlage von 2014, als Russland die Krim annektierte und der Westen anschließend nur moderate Finanzsanktionen verhängte.“ Das Problem aus Sicht der Marktstrategen: „Heute steht jedoch eine viel umfangreichere russische Militäroperation im Raum, und die Reaktionen von EU und USA sind wesentlich konsequenter: Es drohen harte Sanktionen gegen Russland.“

Das Zeitfenster für eine Invasion schließt sich

Wenige Tage vor einem möglichen Kriegsausbruch schließt sich jedoch das Fenster für Risikomanagement und für Absicherungsoperationen. Aktien- und Rohstoffpreise seien zuletzt kaum gesunken, aber volatiler geworden, analysiert die UBS. Dies bedeutet, dass klassische Hedging-Instrumente teuer sind. Einzige Ausnahme seien die Devisenmärkte: „Dort ist die Volatilität nach wie vor gering, dort finden sich die besten Hedging-Möglichkeiten“, rät die UBS.

Doch die Zeit drängt: Die großen Manöverübungen der russischen Streitkräfte in Weißrussland und im Schwarzen Meer – nach Ansicht von Militärexperten der ideale Ausgangspunkt für einen Einmarsch in die Ukraine – sollen offiziell Anfang nächster Woche enden. Das Gleiche gilt für die vorgezogenen Übungen der strategischen Raketentruppen.

Zudem deutet sich rund um die Ukraine gerade ein Wetterumschwung an, es nähert sich eine Warmfront. Aus Sicht der russischen Militärplaner droht die alljährliche „Rasputiza“ zu beginnen, eine Wetterphase, die die ukrainischen Böden von einer Eis- in eine Schlammlandschaft verwandelt. Und Tauwetter erschwert Panzerbewegungen. Der Höhepunkt der Konfrontation könnte in diesen Tagen erreicht werden – mit offenem Ausgang.