So will sich Hannover Finanz transformieren

Die frühsommerliche Sonne strahlt über dem Hannoveraner Pelikanviertel im Stadtteil List, der Himmel leuchtet blau, es sind kaum Wolken zu sehen: So freundlich präsentiert sich die 500.000-Einwohner-Stadt Besuchern Anfang Mai dieses Jahres. In der Günther-Wagner-Allee Nummer 13, unweit des Stadtwaldes, befindet sich der Hauptsitz der Beteiligungsgesellschaft Hannover Finanz, die an diesem Tag ihre Türen für FINANCE öffnet – und Journalisten damit erstmals einen Einblick hinter die Kulissen gewährt. Von außen sieht das siebenstöckige Backsteingebäude, in dem der Finanzinvestor beheimatet ist, so gar nicht nach Private Equity aus. Frankfurter Westend-Villa-Flair oder Münchener Schickeria sucht man hier vergebens. Vielleicht hat das Understatement auch einen guten Grund: Hannover Finanz investiert in deutsche Traditionsunternehmen wie 1980 in die Drogeriekette Rossmann. Auch der Brillenfilialist Fielmann sowie der Maschinenbauer Aixtron befanden sich im Portfolio des Investors. Seit der Gründung im Jahr 1979 durch Albrecht Hertz-Eichenrode arbeiten die Hannoveraner hart an dem Ruf als „Partner des Mittelstands“. Das wollen zwar viele Finanzinvestoren sein, nur wenige schaffen es aber. Hannover Finanz, damals aus dem HDI-Konzern hervorgegangen, ist damit einer der ältesten Private-Equity-Investoren in der Bundesrepublik; vor wenigen Wochen feierte die Gesellschaft ihr 45. Firmenjubiläum. Hannover Finanz befindet sich im Umbruch Doch die Hannoveraner befinden sich im Umbruch. Dafür steht Goetz Hertz-Eichenrode, der Sohn des Gründers, der schon seit 2009 im Unternehmen tätig ist. Sein Vater verstarb im Juni 2019 im Alter von 75 Jahren, seitdem liegt die Zukunft des Familienunternehmens in den Händen des Sprösslings. Der 47-Jährige, der die Geschicke von Hannover Finanz bereits seit 2017 leitet, genießt am Markt einen guten Ruf, gilt als verbindlich und unkompliziert, wird bisweilen aber ob seines ruhigen Naturells auch unterschätzt. Nun hat er eine Mammutaufgabe zu bewältigen: Er muss nicht nur den Generationenwechsel vollziehen, sondern sein Haus außerdem zu einem modernen Private-Equity-Investor transformieren, ohne dabei die alten Werte und Traditionen zu verlieren. Denn das Image von Hannover Finanz ist zwar sehr positiv bei vielen traditionellen Mittelständlern und Industrieunternehmern verankert. Doch es wirkt bisweilen auch verstaubt in Zeiten, in denen Private Equity vor allem mit Investments in Software, Tech und Business Services durchstartet. „Wir müssen uns stetig weiterentwickeln, wenn wir erfolgreich sein wollen“, räumt der Vorstandssprecher ein. Wie will er den Wandel meistern? Goetz Hertz-Eichenrode ist seit 2017 Sprecher der Geschäftsführung bei Hannover Finanz, arbeitet aber bereits seit 2009 dort. Foto: Hannover Finanz Transformation vom Generalisten zum Spezialisten Den Startschuss für die Transformation gab Hertz-Eichenrode vor rund fünf Jahren. „Ich habe damals angekündigt, dass ich vor allem Dealflow aus den drei Fokusbranchen Medizintechnik, Software und Hightech Industrials sehen möchte“, erinnert sich der Hannover-Finanz-Chef. Mittlerweile sind daraus vier Schwerpunktsektoren geworden: IT-Services und Software, Advanced Industrials, Medizintechnik sowie Business Services. Die bisherigen Lieblingsbranchen der Hannoveraner – Automotive, Anlagenbau oder auch Chemie – finden sich in immer geringerem Anteil im Portfolio. Die Krux: Nur mit tiefem Branchenwissen findet man spannende Firmen und kann einen Dialog auf Augenhöhe mit den Unternehmern führen, was oft ein entscheidendes Kriterium für die Zusammenarbeit mit einem Finanzinvestor ist. Um sich dieses Wissen anzueignen, hat Hannover Finanz jedem der 20 Investment Professionals mindestens einen Sektor zugeordnet, in dem er sein Dealsourcing betreibt und sein Netzwerk auf- und ausbaut. „Wir agieren schon jetzt viel kompetitiver und sehen eine wachsende Anzahl von spannenden Zielunternehmen.“ Moritz Merkert, Investment Partner bei Hannover Finanz Seit rund einem Jahr arbeitet Moritz Merkert, der zuvor unter anderem bei Haniel den Aufbau der Direktinvestmentaktivitäten unterstützt hat, an dieser Sektorfokussierung. „Jedes unserer Fokussegmente schauen wir uns im Zuge von intensiver Desktop-Recherche genau an. Noch viel wichtiger ist dabei aber ein aktiver Dialog mit Unternehmern und Industrieexperten“, berichtet Merkert. Und das zahlt sich aus seiner Sicht bereits aus: „Wir agieren schon jetzt viel kompetitiver und sehen eine wachsende Anzahl von spannenden Zielunternehmen.“ Mit der „Kombination aus Tradition und aktuellen Best-Practice-Ansätzen“ will sich Hannover Finanz von anderen Investoren differenzieren. Diese setzen ihr Research zum Teil schnell und effizient auf und gewinnen einen Deal hinterher mit einem aggressiven Pricing. „Die tiefe inhaltliche Arbeit an unseren Investment-Hypothesen ermöglicht es uns, Akquisitionen zielgerichteter zu selektieren und den Unternehmen inhaltlichen Mehrwert auf dem gemeinsamen Weg zu bieten“, sagt Merkert. Viel Backstein, wenig Glamour: Residenz von Hannover Finanz im Stadtteil List. Foto: FINANCE Hannover Finanz macht jetzt auch Distressed-Deals Ein weiterer Baustein der Transformation ist ein ganz neues Projekt: Ende 2023 hat Hannover Finanz das Geschäftsmodell um den Special-Situations-Bereich HF Opportunities (HFO) erweitert. Wenn es, wie derzeit, mehr Restrukturierungen gibt, ist die Ausweitung des Geschäfts in diese Richtung nachvollziehbar. Doch die Arbeit mit kriselnden Unternehmen will nicht nur gelernt sein – auch die eigenen Kapitalgeber müssen davon überzeugt sein, dass das neue Geschäftsmodell fliegt. Punkten will Hannover Finanz daher mit einem speziellen Ansatz: Die Beteiligungen sollen nach der Restrukturierung nicht veräußert, sondern direkt im Anschluss wertschöpfend weiterentwickelt werden, wie der Leiter der Einheit, der 39-jährige Hermann Reitze, Anfang November im Gespräch mit FINANCE sagte. Dazu passt der Evergreen-Ansatz des Investors, dessen Fonds damit nicht an Laufzeiten gebunden sind. Theoretisch können Unternehmen also ewig gehalten werden. Seit Juli dieses Jahres verfügt Hannover Finanz außerdem über einen eigenen Distressed-Fonds, dessen Zielvolumen bei 100 Millionen Euro liegt. 65 Prozent davon seien schon eingeworben, hieß es im Juli. Info Die drei Säulen Das Geschäftsmodell von Hannover Finanz fußt auf drei Säulen: Unter HF Equity fassen die Hannoveraner klassische Eigenkapitalinvestments zusammen. Hannover Finanz Opportunities (HFO), die jüngste Säule, steht für Zukäufe in Sondersituationen. Anfang September hat die Einheit mit Freeglass und Lentner ihre ersten beiden Deals präsentiert. Seit 2017 hat der Finanzinvestor mit HF Debt auch einen hauseigenen Debt-Fonds, der strikt getrennt vom Private-Equity-Geschäft arbeitet. Sascha Haghani steigt bei Hannover Finanz ein Ebenfalls im Juli sind die beiden bekannten Ex-Roland-Berger-Restrukturierer Sascha Haghani und Gerd Sievers zu den Hannoveranern gestoßen. Haghani ist neben Hertz-Eichenrode in die Geschäftsführung eingestiegen und soll sich des Themas Value Creation annehmen, während Sievers in die HFO-Geschäftsführung eingetreten ist und die Distressed-Sparte begleiten soll. Im Markt sorgte der Schritt teilweise für Verwunderung, schließlich hat sich der 57-jährige Haghani als Restrukturierungsexperte, nicht aber als Investor einen Namen gemacht. Sein Netzwerk dürfte für die Hannoveraner dennoch äußerst interessant sein. Daneben ist aber auch das Team deutlich jünger geworden – und die Kultur ändert sich, wie ein Blick durch die renovierten und lichtdurchfluteten Gänge und Büros offenbart. In der Gemeinschaftsküche an der Espressomaschine, dem zentralen Treffpunkt im Office, trifft man nicht wenige Millennials und sogar einige Vertreter der Gen Z. Einen strikten Dresscode gibt es nicht mehr, Anzüge sind hier – zumindest an Tagen ohne externe Meetings – ebenso passé wie Krawatten; im Sommer wird das Hemd auch mal gegen ein Polo-Shirt ausgetauscht. Mehr zum Thema Hannover Finanz verpflichtet Sascha Haghani und Gerd Sievers Aufregender Wochenstart: Die Ex-Roland-Berger-Restrukturierer Sascha Haghani und Gerd Sievers steigen bei der Hannover Finanz ein – die parallel ihren ersten Special-Situations-Fonds auflegt. Mehr lesen Jünger, dynamischer – besser? Ein „Oberhaupt“, das bei jeder Entscheidung sein Einverständnis erteilt, existiert heute ebenfalls nicht mehr. Beschlüsse werden stattdessen im Team gefasst, das verantwortliche Projektteam arbeitet größtenteils selbständig an Transaktionen. Feedback gebe es bei Jour Fixes oder auf kurzem Dienstweg, heißt es seitens Hannover Finanz. „Früher wurde Private Equity oft als Bankalternative abgestempelt. Heute fordern Unternehmer aktiv unsere Unterstützung ein.“ Goetz Hertz-Eichenrode, Sprecher der Geschäftsführung bei Hannover Finanz Die flachen Hierarchien spürt man auch vor Ort. Die Stimmung unter den Kollegen wirkt herzlich, fast jeder hat einen witzigen Spruch auf den Lippen parat. Der Professionalität im Beruf tut das allem Anschein nach allerdings wenig Abbruch, wie etwa die Arbeit mit den Beteiligungen zeigt, die Hannover Finanz intensiviert hat, weil sich der Anspruch an Private Equity verändert hat. „Früher wurde Private Equity oft als Bankalternative abgestempelt. Heute fordern Gründer und Familienunternehmer aktiv unsere Unterstützung ein“, begründet Hertz-Eichenrode die veränderte Zusammenarbeit. Wie diese konkret aussehen kann, erläutert Investment Partner Mirco Thelen: „Nach der Übernahme gehen wir unseren vorher erstellten Value-Creation-Plan an, der in der Regel mit einem Strategie-Workshop mit dem Management startet. Neben der operativen Exzellenz unterstützen wir unsere Portfoliounternehmen insbesondere in den Bereichen HR und Finanzen.“ Zu Beginn am wichtigsten sei jedoch das Thema Financial Excellence: „Darunter verstehen wir die Transparenz der finanziellen Performance, die häufig zu Beginn des Investments noch hergestellt werden muss.“ Mirco Thelen (links) ist seit Teil 2020 der Hannover Finanz, sein Kollege Moritz Merkert stieß 2023 zu den Hannoveranern. Foto: Hannover Finanz / Collage: FINANCE Hannover Finanz bringt dabei neben der Expertise durch das hauseigene HR- und Financial-Excellence-Team ein eigenes Reporting-Tool mit, das jede Beteiligung – angepasst an das Geschäftsmodell – übernehmen muss. Eine kritische Betrachtung der Finanzierungsstruktur und bei Bedarf deren Anpassung, wie etwa bei Zukäufen, zählen ebenfalls dazu. Teil von Thelens täglicher Arbeit ist darüber hinaus der kontinuierliche Dialog mit dem Management der Firmen, die er betreut. „Dazu gehören regelmäßige Telefonate, aber auch persönliche Meetings“, berichtet er. Das Ziel: Die Hannoveraner wollen verstehen, ob das Unternehmen hinsichtlich der vereinbarten Strategie „on track“ ist, um bei Bedarf zeitnah gegensteuern zu können. Info Hannover Finanz in Zahlen 250 Unternehmen hat Hannover Finanz bislang begleitet 35 Unternehmen befinden sich im Portfolio 700 Mio. Euro betreuen die Hannoveraner derzeit 2 Mrd. Euro hat Hannover Finanz bis heute investiert Balanceact für Hannover Finanz Neue Schwerpunktsektoren, ein angepasstes Geschäftsmodell, die Verjüngung des Teams sowie die engere Zusammenarbeit mit den Firmen: Hannover Finanz hat zuletzt an allen wesentlichen Stellschrauben gedreht. Hertz-Eichenrode ist davon überzeugt, dass die Balance zwischen Modernisierung und Kulturerhalt gut gelingt: „Für erfahrene Unternehmer haben wir ebenso die richtigen Ansprechpartner wie für den jüngeren Software-Gründer. Und auch Letzterer blickt positiv auf Referenzen wie Fielmann oder Rossmann.“ Bis alle Marktteilnehmer die neue Hannover Finanz durchdrungen haben, dürfte aber noch etwas Zeit ins Land ziehen, und auch dann darf sich der Investor nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Denn das herausfordernde Marktumfeld macht auch vor dem Portfolio von Hannover Finanz nicht Halt. So hört man immer wieder von operativen Herausforderungen bei einigen Assets. „Wer vorgibt, in diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld keinerlei Herausforderungen zu haben, ist für mich nicht glaubwürdig“, entgegnet Hertz-Eichenrode. Entscheidend sei, vorausschauend damit umzugehen und in der Lage zu sein, eine gestaltende Rolle in den Portfoliounternehmen einzunehmen. Mehr zum Thema Hannover Finanz schießt zweiten Distressed-Deal nach Hannover Finanz beweist Marktpräsenz seiner neuen Distressed-Sparte: Nach dem ersten Deal folgt binnen kürzester Zeit mit dem Einstieg beim Feuerwehrfahrzeughersteller Lentner die zweite Akquisition. Mehr lesen Hinzu gesellen sich kritische Stimmen, die munkeln, die Hannoveraner hätten ihre Transformation zu lange aufgeschoben und seien jetzt spät dran mit dem dringend notwendigen Wandel. „Die Weiterentwicklung unserer Value-Creation-Strategie und unseres Betreuungsansatzes sowie die Aufteilung in drei Geschäftsbereiche, mit denen wir alle wirtschaftlichen Zyklen bedienen können, sorgen für eine solide Stabilisierung der Gruppe“, findet Hertz-Eichenrode. Solche Ansätze sehe er im deutschen Smallcap-Markt bislang selten. „Wir sehen uns gut gerüstet für die Zukunft“, resümiert der Vorstandssprecher. So wird es spannend sein zu sehen, ob die strategischen Initiativen aufgehen. Einen langen Atem haben die Hannoveraner in den vergangenen 45 Jahren auf jeden Fall bewiesen.

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