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Center of Main Interest: Welcher Standort ist der richtige?

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Wo liegt der Standort eines Unternehmens? Die Ansichten darüber können auseinander gehen. Foto: 1STunningART – stock.adobe.com

Bei einer Restrukturierung dreht sich vieles um die Wahl des richtigen Verfahrens – und dabei ist die Auswahl groß: Auf nationaler Ebene sind manche Gerichte offener für neue Verfahren als andere, und international bieten unterschiedliche Rechtsordnungen jeweils eigene Vor- und Nachteile. Unternehmen wie Schefenacker, Scholz oder Apcoa nutzten beispielsweise in der Vergangenheit das britische Scheme of Arrangement, der Schrottrecycler Scholz verlagerte dafür extra den Firmensitz nach England.

Wenn Beteiligte über Landesgrenzen hinweg nach dem Sanierungsverfahren suchen, das für ihre Interessen am besten geeignet ist, sprechen Experten gern von „Forum Shopping“ – gerade vor dem Hintergrund neuer Restrukturierungsverfahren, etwa dem StaRUG-Verfahren in Deutschland, kann dies attraktiv erscheinen. In Europa sollen Insolvenzverfahren allerdings grundsätzlich dort abgehalten werden, wo das Unternehmen sein „Center of Main Interest“ (COMI) hat. Das Problem dabei: Einen festen Kriterienkatalog, auf dessen Basis sich dieser Interessenschwerpunkt definieren ließe, gibt es nicht.

Wo ist das Center of Main Interest von Galapagos?

Ein besonders konfliktträchtiger Fall einer COMI-Verlagerung beschäftigt derzeit den EuGH: Im Zentrum des Streits steht die Galapagos Holding, ein Vehikel, unter dem der Private-Equity-Investor Triton die 2014 von Gea erworbenen Geschäftsfelder für Heat Exchangers (heute Kelvion) und Power Cooling (heute Enexio) einsortiert hat. Während die operativen Gesellschaften in Deutschland tätig sind, saß die Holding in Luxemburg.

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Die Schwierigkeiten begannen, als Galapagos im Sommer 2019 die Zinsen für seine Anleihen nicht bezahlen konnte und in die Insolvenz rutschte. Eigentümer Triton wollte die Passivseite der Galapagos Holding gerne in Großbritannien restrukturieren, wo Mehrheitsabstimmungen der Gläubiger damals einfacher möglich waren als in Deutschland. Im Juni 2019 verlegte Triton deshalb im Schulterschluss mit weiteren vorrangigen Gläubigern den Sitz der Holding von Luxemburg ins englische Fareham. Die nachrangigen Bondholder sahen dies mit Sorge – sie fürchteten Nachteile und setzten ihrerseits einen Geschäftsführer ein, der einen Insolvenzantrag in Düsseldorf stellte. Die Begründung: Der Geschäftsführer arbeite von Düsseldorf aus.

Das dortige Gericht nahm den Antrag an und setzte Frank Kebekus als vorläufigen Insolvenzverwalter ein. Damit greift etwas, das Juristen als „first priority rule“ kennen. Der Grundsatz: Wenn sich eine Jurisdiktion für zuständig erklärt, bleibt das Verfahren in der Regel erst einmal dort. Die Frage, ob im Fall Galapagos der richtige Gerichtsstand die Zügel in die Hand nahm, ist inzwischen allerdings bis zum EuGH vorgedrungen. Dem europäischen Gericht obliegt es nun, eine klärende Linie vorzugeben. Die Kernfrage lautet: War der COMI-Shift von Großbritannien nach Deutschland zulässig, da noch kein britisches Restrukturierungsverfahren eröffnet worden war? Und wenn nicht, nach welchen Kriterien kann man sich künftig richten?

Keine einheitlichen Spielregeln

Ein Grundproblem in der Debatte: Bislang gibt es keine einheitlichen Spielregeln für eine COMI-Verlagerung. Einige lokale Insolvenzordnungen sehen bei der Verlagerung des COMI zwar eine Karenzzeit vor. In Deutschland gelten drei Monate als üblich – in Stein gemeißelt ist dies allerdings nicht. „Es handelt sich eher um einen Standard, der sich in der Praxis herausgebildet hat“, sagt Martin Heidrich, Partner bei Taylor Wessing in Hamburg.

„Die Unternehmenssteuerung ist nicht länger an einen konkreten Ort gebunden.“

Martin Heidrich, Taylor Wessing

Hinzu kommt: Die Definition des COMI ist seiner Meinung nach gar nicht mehr so leicht zu treffen. „Wo der Schwerpunkt eines Unternehmens liegt, lässt sich nicht mehr einfach daran festmachen, wo der Firmensitz und die Büros der Führungskräfte sind“, findet er. Das habe nicht zuletzt die Coronakrise noch einmal gezeigt. „Die strategische Unternehmenssteuerung ist dank moderner Technologien nicht länger an einen konkreten Ort gebunden.“

Was ist also ein guter Maßstab für die Wahl des Restrukturierungsorts? „Grundsätzlich ist das Gläubigerinteresse der beste Maßstab“, sagt Heidrich. Doch auch dabei liegt die Tücke im Detail: Denn selten sind die Gläubiger eine homogene Masse. Ihre Forderungen sind unterschiedlich stark besichert, Ausfälle treffen sie unterschiedlich hart.

Auch dieses Dilemma zeigt sich im Fall Galapagos: Eine Gruppe von Gläubigern strebte ein englisches Verfahren an, eine andere Gläubigergruppe wollte lieber nach Düsseldorf. Was also tun? „Ein letztes gemeinsames Interesse sollten alle Gläubiger haben – die größtmögliche Masse zu erhalten“, sagt Heidrich. „Wenn dafür ein Standort wegen seiner Rechtsauslegung bessere Aussichten böte als ein anderer, dann wäre ein Verfahren dort objektiv besser aufgehoben.“

COMI-Verlagerung: Raum für Interpretationen

Im Fall von Galapagos ist der operative Betrieb der Unternehmen nicht von den juristischen Scharmützeln betroffen, die Streitereien betreffen die Holding. Dennoch hat der Fall kuriose Züge. Denn das Insolvenzverfahren ist bereits eröffnet, dadurch laufen etwa Fristen für Anfechtungsklagen. Könnte also ein übergeordnetes Gericht doch noch zu dem Schluss kommen, dass das Düsseldorfer Amtsgericht eigentlich gar nicht zuständig war und das Verfahren nicht hätte eröffnen dürfen? In der deutschen Rechtslandschaft wäre das wohl ein Novum.

In der Branche gibt es den Wunsch, dass der Galapagos-Streit dazu beiträgt, dass sich in der Branche klarere Spielregeln für COMI-Verlagerungen herausbilden. Mit einer Einschätzung des EuGH rechnen Juristen in den kommenden Monaten – ein fester Kriterienkatalog, wann eine Verlagerung zulässig ist oder nicht, wird aber wohl am Ende nicht dabei herauskommen. Das Gericht werde eher eine weiche Guidance geben, so die Erwartungshaltung in der Branche. Auch ein differenziertes Vorgehen wäre denkbar – beispielsweise abgestuft danach, ob der COMI-Shift eine reine Holding oder ein operativ tätiges Unternehmen betrifft.

„Es wird weiterhin Raum für Interpretationen bleiben.“

Martin Heidrich, Taylor Wessing

Der Gedanke dahinter: Ein produzierender Betrieb umfasst in der Regel einen Maschinenpark und eine größere Gruppe an Mitarbeitern und lässt sich kaum kurzfristig verlegen. Eine Holding dagegen ist deutlich schlanker aufgestellt. Damit könnte die Frist, nach der eine Verlagerung des Interessenschwerpunkts glaubhaft ist, bei Holdings kürzer ausfallen als bei operativen Unternehmen. Völlig konfliktfrei dürfte das Thema COMI-Verlagerung jedenfalls auch nach einer Einschätzung durch den EuGH nicht werden, erwartet auch Jurist Martin Heidrich. „Es wird weiterhin Raum für Interpretationen bleiben.“