FTI: Befreiungsschlag oder Offenbarungseid?

Groß war die Erleichterung beim angeschlagenen Reisekonzern FTI, als er Mitte April nach Monaten der Verunsicherung einen neuen Eigentümer präsentieren konnte. Zum symbolischen Preis von 1 Euro übernimmt ein vom US-amerikanischen Private-Equity-Haus Certares angeführtes Konsortium den am Umsatz gemessen drittgrößten Reisekonzern Europas. „Mit der Unterstützung von Certares und seiner umfangreichen Erfahrung auf diesem Sektor sowie dem vom Konsortium bereitgestellten Kapital ist FTI in einer einzigartigen Position für zukünftiges Wachstum und Rentabilität, die allen Stakeholdern – einschließlich unserer Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeitenden – zugutekommt“, frohlockte FTI-CEO Karl Markgraf anlässlich der Vereinbarung. FTI hofft dank Private-Equity-Deal auf Turnaround Doch Zweifel sind angebracht, ob der Deal tatsächlich den dringend benötigten Turnaround bei FTI einleiten wird. Vor allem das von Certares angekündigte Investmentbudget „von bis zu 125 Millionen Euro“ wirft Fragen auf. Während FTI selbst es als Basis für die nächste Wachstumsphase und die Finanzierung der digitalen Transformation erachtet, sehen Experten darin eher den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein: „Das ist nicht viel Geld, um einen so großen Konzern fit für die Zukunft zu machen. Gut möglich, dass das Konsortium hier noch einmal nachschießen muss“, ordnet Nina Blume, Partnerin bei WTS ein. Eine entsprechende Anfrage von FINANCE ließ das Unternehmen bislang unbeantwortet. Was die Sache zusätzlich erschwert: Parallel zu wichtigen Zukunftsinvestitionen muss FTI runter von seinen Schulden. Dies gestaltet sich bislang überaus zäh. Der infolge der Corona-Pandemie schwer in Schieflage geratene Konzern musste in den vergangenen Jahren gleich dreimal beim staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) anklopfen. In Form einer stillen Einlage sowie zwei Nachrangdarlehen stellte der WSF dem Unternehmen insgesamt 595 Millionen Euro zur Verfügung. Darüber hinaus stellte die Hausbank Unicredit einen frischen Kredit in Höhe von 280 Millionen Euro bereit – allerdings nur unter Beteiligung der Politik in Form einer 90-prozentigen Bürgschaft vom Bund und dem Land Bayern. FTI sitzt noch immer auf Großteil seiner WSF-Schulden Von den WSF-Mitteln hat FTI eigenen Angaben zufolge bislang nur einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag zurückgezahlt. Ganz anders sieht es bei den ebenfalls in der Reisebranche beheimateten Wettbewerber TUI oder Lufthansa aus, die die Schulden längst beglichen haben – nicht zuletzt mit Hilfe diverser, milliardenschwerer Kapitalerhöhungen. Zwar hat FTI noch bis 2027 Zeit mit der Rückzahlung. Für Unternehmen besteht dennoch eigentlich der unmittelbare Anreiz, sich möglichst schnell aus dem staatlichen Finanzierungskorsett zu befreien. Denn: Die WSF-Hilfen werden über die Zeit immer kostspieliger. Im gut dokumentierten Fall der Lufthansa beispielsweise hätte die Zinsbelastung für die stille Einlage am Ende der Vertragslaufzeit bei 9,5 Prozent gelegen. „So hohe Zinsen zahlt kein Unternehmen freiwillig“, erklärt ein WSF-Experte im FINANCE-Gespräch, der anonym bleiben möchte. Prekäre Finanzlage bei FTI Eine hohe Zinsbelastung sollte FTI lieber vermeiden. Wie prekär die Finanzlage in den vergangenen Jahren war, wurde Mitte Februar deutlich, als FTI seinen Geschäftsbericht im Bundesanzeiger zur Verfügung stellte. Kurioserweise aber nicht den für das zurückliegende Geschäftsjahr 2022/23, sondern erstmal den noch ausstehenden für das vorangegangene Geschäftsjahr 2021/22. Eigentlich hätte FTI diesen spätestens zum 31. Oktober 2023 vorlegen müssen. Für einen Konzern, der rund 4 Milliarden Euro Jahresumsatz erwirtschaftet, ist die Verspätung ein ungewöhnlicher Umstand. „Gut möglich, dass FTI seit Längerem mit seinem Wirtschaftsprüfer um einzelne Formulierungen gerungen hat“, ordnet ein anonymer Bilanzexperte für FINANCE ein. Zwar erteilte der zuständige Prüfer Deloitte FTI letztlich einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Dennoch lesen sich im Bericht 2021/22 einige Passagen des Big-Four-Hauses bedrohlich. So ist unter Verweis auf den Prognose- und Risikobericht unter anderem die Rede von einem „bestandsgefährdenden Risiko“ sowie dem „Bestehen einer wesentlichen Unsicherheit“ in punkto Unternehmensfortführung. Die beiden größten Baustellen in der 2021/2022-Bilanz sind schnell ausgemacht: Der Jahresfehlbetrag belief sich auf 91,5 Millionen Euro (Vorjahreszeitraum: 126 Millionen Euro), zugleich vergrößerte sich die Lücke beim Eigenkapital binnen Jahresfrist von 219 auf knapp 283 Millionen Euro. Rückkehr zu Vor-Corona-Umsatz macht Hoffnung Wie genau die Lage inzwischen aussieht, ist nicht bekannt, denn der Geschäftsbericht 2022/23 ist noch nicht veröffentlicht. Nur zum Umsatz hat sich FTI bereits geäußert – und der stimmt zuversichtlicher: Das wichtige Ziel, den Umsatz wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu hieven, hat FTI 2022/23 eigenen Angaben zufolge erreicht. In einer Pressemitteilung von Ende Februar wird dieser auf 4,1 Milliarden Euro beziffert, was in etwa dem Umsatzvolumen der Periode 2018/2019 entspricht. Für das aktuelle, noch bis 31. Oktober 2024 laufende Geschäftsjahr spricht FTI von „guten Vorzeichen der Buchungslage“, die eine Umsatzsteigerung im zweistelligen Prozentbereich erwarten ließen. Spannend wird sein, wie sich die Profitabilität jüngst entwickelt hat – denn hier liegt sicher eine der Kernherausforderungen für das Unternehmen: Die Reisebranche gilt per se als relativ margenarm, auf FTI mit seinem starken Schwerpunkt auf Pauschalreisen trifft dies besonders zu. So liegt der strategische Schwerpunkt des Unternehmens traditionell vor allem im günstigen Einkauf: Indem das Unternehmen sehr große Mengen an Flugtickets und Hotelzimmern vorab verbindlich kauft, kann es dem Endkunden sehr preiswerte Konditionen anbieten. Der Nachteil: FTI bleibt auf den Kosten für ungenutzte Kontingente sitzen – vor allem in den Pandemiejahren war dies eine schwere Bürde für das Unternehmen. Wie will sich FTI künftig am Markt positionieren? Dem Vernehmen nach hat hier nun aber ein Umdenken stattgefunden. Wie unter anderem die FAZ berichtet, soll FTI zuletzt seine Festkapazitäten für Ägyptenurlaube im Sinne eines besseren Risikomanagements fast halbiert haben. Darüber hinaus dürften sich die neuen Eigentümer bereits eifrig Gedanken zur künftigen Aufstellung des Konzerns machen. Mit seinen über 120 Tochterunternehmen ist die FTI-Gruppe in Augen vieler Reiseexperten überfrachtet. „Man muss sich klar werden, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen und sich dementsprechend klar positionieren. FTI wirkt hier von außen noch etwas diffus“, sagt Heiko Frank, Partner bei WTS. Das Erfolgsgeheimnis liege laut Frank nicht zuletzt in einer gelungenen Umsetzung der Strategie „Mass Customization“: „Die Leute wollen pauschal reisen, zugleich aber durchaus auch individuelle Elemente in die Reise einbauen, etwa Tagesausflüge. Um das abbilden zu können, braucht es ein sehr leistungsfähiges Backend, vor allem mit Blick auf die IT.“ Wichtig sei zudem der Plattformgedanke, dem sich etwa TUI in den vergangenen Jahren intensiv gewidmet habe: „Ein voll integrierter Reiseanbieter hat sich sein eigenes Ökosystem geschaffen, das der Kunde im Rahmen seiner Reiseplanung nicht mehr verlassen muss“, so Franks Kollegin Nina Blume. Eine FINANCE-Anfrage, welche Maßnahmen in diesem Zusammenhang bereits ergriffen wurden beziehungsweise geplant sind, ließ FTI bisher ebenfalls unbeantwortet. Klar ist: Eine solche Transformation kostet Geld, viel Geld, die das Stand jetzt bei 125 Millionen Euro liegende Investmentbudget schnell erschöpfen dürften. Dennoch traut Blume dem neuen Eigentümer den Turnaround durchaus zu: „Certares hat einen guten Track-Record in der Reisebranche, vor allem in den USA. Es ist ein langfristig denkendes Private-Equity-Haus, das neben der finanziellen Power auch über die nötige Geduld verfügt, um das Geschäft neu aufzustellen.“ Certares verhandelt WSF-Schulden von FTI neu Einen ersten wichtigen Etappensieg konnte der Investor bereits verbuchen: Einen immer wieder kolportierten Erlass der WSF-Schulden konnte Certares zwar nicht erreichen, hat sich mit dem zuständigen Bundesfinanzministerium (BMF) aber auf den Verkauf der offenen WSF-Verbindlichkeiten an das von Certares geführte Investorenkonsortium geeinigt. Der Kniff dabei: Die Forderungen wandern zum aktuellen Marktpreis auf das Konto der neuen Eigentümer, was einen Abschlag zum Nennwert impliziert. Wie hoch dieser genau ist, ist nicht bekannt. Ein Sprecher des BMF teilt auf FINANCE-Anfrage lediglich mit: „Durch die Maßnahme wird es zu Verlusten für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen, deren konkrete Höhe sich aufgrund des laufenden Prozesses nicht abschließend beziffern lässt.“ Für den deutschen Steuerzahler und Wettbewerber wie TUI oder Lufthansa, die die Mittel wie ursprünglich vereinbart zurückgezahlt haben, sind das enttäuschende Nachrichten. Für Certares und FTI hingegen ein Teilerfolg, auf dem es nun aufzubauen gilt.

Wirecard-Ticker: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun weiter in Haft

Bund will nach 16 Jahren raus aus der Commerzbank

CFO-News: Dr. Wolff, Hansa Rostock, TK Elevators

Wie Volkswagen aus der Sackgasse kommen will

FTI: Befreiungsschlag oder Offenbarungseid?

Aktuelle Artikel

Wie Volkswagen aus der Sackgasse kommen will

Die Rekordjägerin: Rheinmetall-CFO Dagmar Steinert

FINANCE Daily

Weitere Inhalte zum Thema

Certares übernimmt Reisekonzern FTI für 1 Euro

Das sind die WSF-Wackelkandidaten

Abheben mit einer Kapitalerhöhung?

Aktuelle FINANCE Multiples

Gefragte Energiebranche

Spezialisierte Food-Anbieter hoch im Kurs

Textil- und Bekleidungsbranche aus der Mode

Nachrichten

Themen

Unternehmen

FINANCE TV

FINANCE Köpfe

FINANCE Podcast

FINANCE Magazin

Research

Multiples

Events

Newsletter

Abonnements

Mediadaten

Redaktion

Stellenmarkt

Partner

Kontakt