Krise in der Modebranche: Was kommt noch?

Menschenmengen, volle Rolltreppen, Verkäufer, die einen ansprechen – bis vor ein paar Jahren waren die Innenstädte samt Modeunternehmen gut besucht und gerade an Samstagen herrschte oft pures Chaos. Das Blatt hat sich gewendet. Die Frequenz der Kunden, die die Läden besuchen, ist gesunken. Vor allem die Inflation sorgt für eine große Kaufzurückhaltung. Ein Blick in die Innenstädte zeigt: In den Modeläden ist nicht viel los – und das geht wegen der Corona-Pandemie schon seit einigen Jahren so. Die Konsequenz ist bitter: Die Insolvenzzahlen im Modebereich steigen weiter. Erst Mitte August meldete der fränkische Modehändler Madeleine Insolvenz in Eigenverwaltung an. Auslöser sei die Kombination aus Preissteigerungen bei den Kollektionen und einem inflationsbedingten Umsatzrückgang gewesen. Insolvenzanträge in der Fashion-Branche Madeleine reiht sich nur in eine lange Liste ein. Zahlen der Restrukturierungsberatung Falkensteg, die exklusiv für FINANCE aufbereitet wurden, verdeutlichen das: Im ersten Halbjahr 2023 gab es 108 Insolvenzanträge von Unternehmen mit einem Umsatz ab 10 Millionen Euro, davon stammen rund 16 Insolvenzen aus der Fashion-Branche. Zum Vergleich: In den ersten sechs Monaten des Vorjahres machten die Modehändler von den insgesamt 105 Insolvenzen nur 2 aus. Am Umsatz gemessen die größte – und für viele im Restrukturierungsbereich auch die überraschendste – Insolvenz war im ersten Halbjahr Peek & Cloppenburg. Die Düsseldorfer meldeten Anfang März das Schutzschirmverfahren an. Grund sei neben der Inflation, dass sich die Filialen nach den Corona-Jahren nicht mehr so erholt haben wie gedacht. Der letzte bekannte Umsatz in Deutschland lag 2021 bei über 1 Milliarde Euro. In der Corona-Zeit verlor P&C laut eigenen Aussagen etwa 30 Prozent an Umsatz. Herausforderungen für Modehändler Dass die Krise in der Branche schon vor Corona begonnen hat, ist kein Geheimnis. Die Frage ist vielmehr, wieso es die Branche aus ihrem Loch nicht mehr herausschafft? Zumal es für Kandidaten wie Galeria Karstadt Kaufhof oder Gerry Weber nicht die erste Insolvenz ist. Matthias Kampshoff, Partner im Bereich Restructuring & Insolvency bei McDermott Will & Emery, sieht mehrere Herausforderungen, die die Restrukturierung schwierig machen. „Schon vor Corona fing die Krise an vielen Ecken bei Modehändlern insbesondere im mittelpreisigen Segment an. Während der Pandemie mussten so gut wie alle Unternehmen massive Rückschläge verkraften, und seitdem konnten viele nie wieder die gleichen Umsätze und die gleiche Kundenfrequenz wie vor Corona verbuchen.“ Er beobachtet, dass sich die Luxushändler besser erholen konnten, blickt aber besorgt auf Modeunternehmen in den übrigen Segmenten. Gründe für die Krise Corona, Ukraine-Krieg, Inflation – dass die Unternehmen seit Jahren keine Zeit mehr zum Luftholen hatten, sieht der Restrukturierungsexperte Kampshoff als Hauptproblem. Denn das bedeute, dass die Unternehmen schon lange ums Überleben kämpfen und weder Zeit noch Geld haben, strukturelle Probleme wie den Ausbau des E-Commerce oder Investitionen in die Läden in den Griff zu bekommen. „Über der Modebranche schwebt ein Damoklesschwert“, bringt es Sebastian Wilde, Partner bei der Restrukturierungsberatung Falkensteg, auf den Punkt. Eine weitere Herausforderung ist der Wettbewerb – gerade mit Blick auf ausländische Kandidaten à la Zara, H&M und Co. „Wenn es um Fast Fashion geht, können viele deutsche Unternehmen kaum mit ausländischen Wettbewerbern mithalten“, hat Berater Kampshoff beobachtet, der zum Beispiel die Warenhauskette Galeria im Rahmen der Restrukturierung beraten hat. Wenn es neue Modetrends gebe, bräuchten viele deutsche Modelabels viel zu lange von der Idee über die Produktion und bis die Ware schlussendlich im Handel ist. Ausländische Wettbewerber wie Zara schafften das in wenigen Wochen. Deutsche Unternehmen produzierten vor allem in Asien, was schon aufgrund der langen Vorlauf- und Lieferzeiten wesentlich länger dauert, auch wenn dies günstiger sei. „Hier fehlt die Flexibilisierung in der Lieferkette“, konstatiert Berater Kampshoff. Schon seit Jahren beeinträchtigt zudem der E-Commerce den stationären Handel – viele Modeunternehmen haben in den vergangenen Jahren einen Online-Shop aufgebaut oder stehen noch davor. „Ein Online-Shop und die ganze Logistik dahinter kosten viel Geld, solche Investitionen können viele nicht mehr tätigen“, beobachtet Kampshoff, der auch bei der Restrukturierung von Hakle beratend tätig war. So sei das Geschäft auch aufgrund der Retouren sehr teuer und nur schwer profitabel zu betreiben. Die Umstellung auf einen Online-Shop „ist aus meiner Sicht nicht das Allheilmittel“, sagt Kampshoff. Peek & Cloppenburg nimmt zum Beispiel mehr im stationären Handel als im E-Commerce-Bereich ein. Komplexe Restrukturierung Auf dem Weg zur Restrukturierung gibt es einige Hürden, die die Transformation nicht leichter machen. Sebastian Wilde von Falkensteg sieht jede Menge Widerstand. „Modeunternehmen müssen sich an die neuen Gegebenheiten anpassen und dahingehend ihr Geschäftsmodell verändern.“ Allerdings gebe es immer noch Manager und Mitarbeitende, die die Transformation nicht konsequent angehen, an alteingefahrenen Strukturen festhalten und wenige Ratschläge annehmen. Auch der Fachkräftemangel sei eine besondere Herausforderung für die Modebranche. Die nächste Hürde ist häufig das fehlende Geld, um Veränderungen umzusetzen. Die Unternehmen machen nicht mehr viel Profit, auch die Corona-Hilfsgelder haben eher zum Überleben gedient, und größere Ausgaben für Change Management sind nicht drin. „Viele Modehändler haben angesichts der ganzen Herausforderungen nicht die besten Finanzkennzahlen, das macht es nicht gerade einfacher, Veränderungen etwa auf der Lieferseite anzustoßen“, sagt Kampshoff. So hätten einige nicht die Kapitaldecke, Veränderungsprozesse oder gar die nächste Kollektion zu finanzieren. Wenn Refinanzierungen anstünden, werde es angesichts der gestiegenen Zinsen noch schwieriger. Zurückhaltung der Geldgeber Besonders kritisch ist, dass Geldgeber der Branche schlichtweg den Rücken kehren. Kampshoff sieht etwa eine Zurückhaltung der Banken. Um an Geld zu kommen, wären dann eher Finanzierungslösungen über den Warenbestand gefragt, so der Experte. Auch Finanzinvestoren oder Strategen seien im aktuellen Marktumfeld zurückhaltend. „Der Einstieg wäre vermutlich zwar besonders günstig, aber man müsste viel investieren und bräuchte einen langen Atem“, sagt Kampshoff. Ohnehin würden die Investoren eher auf Modeunternehmen im Luxusbereich schielen. Auch strategische Investoren seien weniger interessiert beziehungsweise angesichts der gestiegenen Finanzierungskosten kaum in der Lage, solche Deals zu stemmen. Dass die Textilkette Räther im Juli den Männermode-Hersteller Ahlers gekauft hat, ist eher eine Ausnahme. Laut der Auswertung von Falkensteg haben nur zwei Modeunternehmen 2022 eine Lösung über einen Asset Deal gefunden. Die Rettungsquote insgesamt lag im vergangenen Jahr bei 30 Prozent, 2021 waren es noch 50 Prozent. Auch Wilde von Falkensteg beobachtet, dass die Banken kritisch auf die Branche blicken würden und mit Finanzierungen eher vorsichtig seien. Bei den Investoren sei ein ähnliches Bild vorzufinden: „Natürlich gibt es Investoren in der Modewelt. Aber diese steigen nicht ein, wenn das Geschäftsmodell nicht an die aktuellen Gegebenheiten angepasst wurde, sondern seit vielen Jahren unverändert Bestand hat. Für den Ausgleich von Kostensteigerungen oder Verlusten wird man keine Investoren finden.“ Filialschließungen sind nicht die eine Lösung Eine Maßnahme in der Insolvenz ist die Filialschließung und damit einhergehend der Personalabbau. Galeria, P&C, eigentlich alle insolventen Modehändler setzen da an. Das allein ist aber nicht die Lösung. So habe Gerry Weber beispielsweise das Problem, dass Filialen zwar geschlossen worden seien, das Logistikzentrum in Halle mit der Infrastruktur noch auf die Größe vor der ersten Insolvenz 2019 ausgelegt sei, gibt eine mit der Sache vertraute Person zu Bedenken. Ausblick in die Zukunft der Modebranche Besonders auf die kommenden Monate blicken Wilde und Kampshoff kritisch. Die „Insolvenzwelle“ im Fashion-Bereich ist noch nicht zu Ende, glauben die Experten. „Nicht alle werden übrig bleiben“, sagt Kampshoff. Doch nicht jedes deutsche Modeunternehmen befindet sich in einer Schieflage. „Es gibt etablierte Modeunternehmen, die in der Vergangenheit gut aufgestellt waren und finanziell in der Lage sind, sich Umstrukturierungen leisten zu können“, weiß Kampshoff. Unter den Schuhhändlern ist Deichmann bislang gut aufgestellt. Auch die Kaufhauskette Breuninger steht gut da. Dunkle Wolken könnten dagegen über Esprit aufziehen. Der Modehersteller mit chinesischem Investor machte wegen erheblicher Umsatzeinbußen im ersten Halbjahr einen Verlust von 80 Millionen Euro. Die Insolvenzliste könnte also noch länger werden.

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