Streit um Varta-Sanierung lässt das Starug wanken

Im August hat sich Varta mit seinen Gläubigern und strategischen Investoren auf einen Sanierungsplan geeinigt. Dabei hat der angeschlagene Batteriehersteller das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, kurz Starug, angewandt. Damit können sich Unternehmen außerhalb der Insolvenz sanieren, indem sie grob gesagt auf Basis von Mehrheitsentscheidungen Maßnahmen auch gegen den Willen von Minderheiten durchführen. Für Varta heißt das: Das Unternehmen wird das Grundkapital auf null herabsetzen und sich perspektivisch von der Börse zurückziehen. Neue Aktien werden in einem zweiten Schritt der Varta-Aufsichtsratsvorsitzende und Mehrheitsaktionär Michael Tojner sowie der künftige Varta-Großaktionär Porsche erhalten. Für die Privatanleger gilt ein Bezugsrechtsausschluss – sie gehen also leer aus. Werden Vartas Kleinanleger enteignet? Diesen Totalverlust bewertet die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) als „kalte Enteignung“ der Anleger. Sie erhielten keine Chance auf eine Wertaufholung. Vize-Präsident Klaus Nieding beschreibt das Verfahren gegenüber der Deutschen Presse-Agentur als „missbräuchlich“. Gegenüber dem DSW habe Varta mitgeteilt, dass einem an der Einbindung aller Aktionäre gelegen sei. „Allerdings habe es jedoch einen unüberwindlichen Widerstand aufseiten der Gläubiger und der Kapitalgeber gegeben, die einen Ausschluss der freien Aktionäre angeblich verlangen.“ Der Fall Varta zeigt diverse Spannungsfelder auf: Es geht um die Rechte von Minderheits- und Mehrheitsaktionären und die Frage, wer welchen Preis für eine Unternehmensrettung bezahlen muss. Über diese Konflikte diskutieren Experten bereits, seitdem das umstrittene Starug im Jahr 2021 in Kraft getreten ist. Bereits bei der Sanierung von Leoni sorgte der Totalverlust der Kleinaktionäre für Unmut. Mit Varta nimmt die Debatte nun erneut an Fahrt auf. Alles zum Thema Varta Der Batteriehersteller Varta aus dem baden-württembergischen Ellwangen war vor Kurzem noch Börsenliebling, der die Fantasien der Anleger beflügelte. Doch Managementfehler und äußere Umstände haben das Traditionsunternehmen an den Rand des Ruins gebracht. Wie konnte es dazu kommen? Mehr lesen Das Starug setzt die Hauptversammlung aus Gerrit Clasen, Aktienrechtler bei der Kanzlei Ashurst in Frankfurt, skizziert die Probleme für die Minderheitsaktionäre, die sich aus der Anwendung des Starug ergeben. „Zunächst investiert man als Minderheitsaktionär und hat durch das Instrument der Hauptversammlung ein Mitspracherecht. Steht dann aber eine Restrukturierung nach dem Starug ins Haus, ist für weitreichende Entscheidungen keine Hauptversammlung mehr vorgesehen“, so Clasen. „Damit geht zum einen die Einflussmöglichkeit mittels der Aktionärsrechte verloren. Und wenn gegebenenfalls im Rahmen des sogenannten Kapitalschnitts das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen wird, verlieren Minderheitsaktionäre zudem ihre Beteiligung. Fällt dann auch noch die Börsennotierung weg, ist auch ein Nacherwerb von Aktien über die Börse nicht mehr möglich.“ Der Ausschluss von Bezugsrechten muss begründet sein Ein weiteres Problem betrifft das Bezugsrecht und die Frage, ob Minder- und Mehrheitsaktionäre gleichbehandelt werden. In einer Aktiengesellschaft haben eigentlich alle Aktionäre nach dem Aktienrecht bei Kapitalerhöhungen ein Bezugsrecht auf die neuen Aktien, um eine Verwässerung ihrer Anteile zu verhindern. „In Ausnahmefällen kann dieses Bezugsrecht jedoch ausgeschlossen werden, beispielsweise zugunsten strategischer Investoren oder einzelner Aktionäre“, sagt der auf Aktien- und Kapitalmarktrecht und öffentliche Unternehmensübernahmen spezialisierte Anwalt. Gerrit Clasen ist Senior Counsel im Bereich Corporate bei Ashurst in Frankfurt. Foto: Ashurst „Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses sind jedoch hoch. Bei Starug-Fällen, wie bei Leoni oder Varta, stellt sich auch die Frage nach der Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses und der Gleichbehandlung der Aktionäre. Gründe für den Ausschluss müssen sachlich gerechtfertigt sein, um nicht als verdecktes Übernahmeinstrument missbraucht zu werden“, so der Ashurst-Anwalt weiter. Für die Unternehmenssanierung kann es durchaus Vorteile geben, wenn es nur ein oder zwei Großaktionäre gibt: Eine übersichtliche Eigentümerstruktur vereinfacht Verhandlungen und dringend benötigtes Geld kann schneller zugeschossen werden. In einer Unternehmenskrise, bei der im Zweifel auch schnell Entscheidungen getroffen werden müssen, kann dies das Zünglein an der Waage sein. Minderheitsaktionäre pochen weiterhin auf Einigung Für die Varta-Kleinaktionäre sei der Verzicht auf die Bezugsrechte jedenfalls eine Entschädigung wert, die sie einfordern wollen, meint die DSW. Dafür muss zunächst nachgewiesen werden, dass der Bezugsrechtsausschluss nicht gerechtfertigt und ein Schaden entstanden ist, so der Ashurst-Anwalt. „Bisher gibt es keine Rechtsprechung zum Starug dazu, was die Höhe einer potentiellen Entschädigung im Fall eines ungerechtfertigten Bezugsrechtsausschlusses betrifft.“ Die Schutzvereinigung fordert drei wesentliche Dinge: Die freien Aktionäre dürfen mittels Bezugsrechts an der Kapitalerhöhung teilnehmen, ‚Neu‘-Aktionäre sollen die Bezugsrechte zu einem angemessenen Preis kaufen und die Free-Float-Aktien zu einem angemessenen Kurs erwerben können. Zusätzlich fordern sie eine Prämie dafür, dass sie im Gegenzug auf Gegenmaßnahmen wie – derzeit angedachte – Rechtsstreits oder Verzögerungen bis hin zum Scheitern des Plans verzichten. Denn wenn sich der Restrukturierungsplan weiter verzögert oder sogar scheitert, gerät der Batteriehersteller in großen Schritten näher an eine Insolvenz – trotz der Mitte September bewilligten 30 Millionen Euro Brückenfinanzierung. FINANCE Köpfe Marc Hundsdorf Varta AG Mehr lesen Das Bundesjustizministerium evaluiert das Starug Mögliche Rechtsstreitigkeiten könnten allerdings ein Exempel statuieren. Denn das Starug steht durch den Fall Varta, aber auch Leoni, stärker unter Beschuss denn je. Und die Forderungen nach einer Gesetzesanpassung des Starug werden im Markt lauter. Auf Anfrage von FINANCE bestätigt das Bundesministerium der Justiz (BMJ), dass das Starug derzeit evaluiert wird. Im Zuge dessen „sollen die Erfahrungen ausgewertet werden, die mit dem Gesetz im Zeitraum bis zum 31. Juli 2024 gemacht worden sind. Dabei wird unter anderem auch der Frage nachzugehen sein, ob die in der Praxis sich mehrenden Fälle von Eingriffen in die Rechte von Gesellschaftern und/oder Aktionären, insbesondere von Kleinanlegern, Anlass geben, den gesetzlichen Rahmen zu präzisieren“, so eine Sprecherin des BMJ gegenüber FINANCE. Die Evaluation sei bislang nicht abgeschlossen. Den Fall Varta wird eine Entscheidung aber nicht mehr betreffen.

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