Warum Frauen nur selten die großen Restrukturierungsmandate bekommen

Versierte Restrukturierer sind derzeit gefragt wie lange nicht. Mit den Krisen bei Signa, Galeria, FTI oder Peek & Cloppenburg gibt es für die Beratungsbranche einiges zu tun. Doch bei den Großinsolvenzen und Restrukturierungsfällen zeigt sich, dass diese fast ausschließlich in der Hand von Männern liegen. Ob in den Kanzleien, Beratungshäusern, Restrukturierungspraxen in Banken oder bei CRO-Personalien – die Branche ist männerlastig. Schaut man sich die einschlägigen Verbände an, zeigt sich ein ähnliches Bild. Stefan Denkhaus, Sprecher des Gravenbrucher Kreises, sieht zwar vermehrt Frauen in der Restrukturierungsberatung, im Insolvenzgeschehen, dem Kern des Verbands, hingegen weniger. „Ich hoffe, dass in absehbarer Zeit Kolleginnen regelmäßig in namhaften Insolvenzverfahren bestellt werden, sodass der Gravenbrucher Kreis wieder eine oder mehrere Frauen im Kreis seiner Mitglieder hat“, sagt er. Diesen Wunsch vertreten viele Experten, männlich wie weiblich, mit denen FINANCE für diese Recherche gesprochen hat. Distressed Ladies fördert das Netzwerken von Frauen Das Thema ist nicht neu. Um etwas an der mangelnden weiblichen Repräsentation zu ändern, hat sich bereits 2015 das Branchennetzwerk „Distressed Ladies“ gegründet. Es zählt inzwischen 100 Mitglieder. Doch warum setzen sich Frauen immer noch selten bei großen Mandaten durch? FINANCE hat mit zahlreichen Frauen, aber auch Männern aus dem Restrukturierungsbereich gesprochen. Viele Themen und Probleme sind ähnlich. Zudem ist die Materie derart sensibel, dass viele Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner um Anonymität gebeten haben. „Da herrscht ein regelrechtes Hauen und Stechen, um den besten Kontakt.“ Quelle: Eine Insolvenzexpertin Die höchste Hürde für Frauen in der Restrukturierungsbranche ist das Netzwerken. In aller Regel sind die großen Fälle hinter vorgehaltener Hand bekannt, bevor sie veröffentlicht werden. Wer dann mit der richtigen Person vernetzt ist, kann sich in Stellung bringen oder durch das Vorwissen gezielter auf den Pitch vorbereiten – ein großer Vorteil in einer Branche, in der mit harten Bandagen um prestigeträchtige Mandate gekämpft wird. „Da herrscht ein regelrechtes Hauen und Stechen, um den besten Kontakt“, berichtet eine Insolvenzexpertin. Dass Frauen in diesen Gefechten wenig bis gar nicht mitwirken, hat mehrere Gründe. Einer davon: Sie dringen gar nicht erst zum Schlachtfeld vor. „Viele Netzwerke für Männer bestehen schlichtweg schon deutlich länger als die von Frauen, wenngleich beide hochprofessionalisiert sind“, sagt Sabrina Hirniak, Associate Partner bei Haselhorst Associates. Aber auch wenn sich Frauen um Netzwerke bemühen, kommen sie nur sehr viel später oder gar nicht ans Ziel, wie eine Restrukturiererin berichtet: „Manchmal gibt man als Frau einem Mann ein Mandat, um etwas zurückzubekommen – und dann geht das nicht auf.“ Netzwerken ist bei Männern und Frauen verschieden Ein gut funktionierendes Netzwerk geht über das bloße Ergattern von Mandaten hinaus. „Es ist etwa in schwierigen Verhandlungssituationen einfacher, weil man unter den Beratern vertrauensvoller und offener sprechen kann“, weiß eine Restrukturierungspartnerin einer größeren mittelständischen Einheit. Mit denjenigen, die man kennt, komme man schneller zum Ergebnis, und man diskutiere nicht um jedes Pünktchen, bekräftigt eine Insolvenzverwalterin. Viele der von FINANCE befragten Frauen berichten, dass sie ein Störgefühl dabei haben, offensiv mit berufsbezogenen Netzwerken umzugehen. Sie wollen das Kontakte-Knüpfen nicht nur an einen Nutzwert binden. Die Diversitätsforscherin Philine Erfurt Sandhu ist Gründerin und Geschäftsführerin des Berlin Institute for Governance & Leadership (BIGL), das der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin angegliedert ist. Foto: Bernd Brundert Netzwerken verläuft bei Männern und Frauen grundsätzlich unterschiedlich, wie Philine Erfurt Sandhu berichtet: „Es gibt unterschiedliche Arten von Beziehungen beim Netzwerken: die instrumentellen und die emotional geprägten Kontakte.“ Das sei auch der Grund, weshalb Männer aus Karrieregründen keine Notwendigkeit haben, mit Frauen in Kontakt zu treten. Erfurt Sandhu ist Vorstandsvorsitzende des Instituts für Governance & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft & Recht Berlin und forscht seit über 15 Jahren zu den Themen Diversity & Governance. Bei Männern überlappen sich ihrer Beobachtung nach beide Arten des Netzwerkens, Frauen hingegen müssten in beides parallel investieren. „Für instrumentelle Kontakte müssen Frauen auf Männer setzen, weil diese an den Machtquellen sind. Zudem investieren sie mittlerweile in ein separates Netzwerk, wie etwa Frauennetzwerke, die eher emotional geprägt sind“, so Erfurt Sandhu. Damit hätten sie den doppelten Aufwand. Der Thomas-Effekt fördert Homogenität Dass Frauen kaum Großmandate erhalten, bedeutet aber nicht, dass Männer Frauen aktiv ausschließen. „Ich würde schon sagen, dass man als Frau auf Veranstaltungen in unserem Bereich schon wegen des zahlenmäßigen Verhältnisses auffällt und leicht ins Gespräch kommt“, beobachtet Elske Fehl-Weileder, Insolvenzverwalterin bei Schultze & Braun. Ob eine Frau dabei im selben Maß als potentielle Geschäftspartnerin wahrgenommen werde, wie dies bei einem männlichen Kollegen der Fall wäre, ist laut der assoziierten Partnerin eine andere Frage. „Gerade jetzt, wo es so viele Unsicherheiten gibt, ist dieser ‚Similar to me’-Effekt recht stark.“ Quelle: Philine Erfurt Sandhu, Ethnologin Grund für die Präferenz, mit wem Geschäftskontakte geknüpft werden, ist der sogenannte Thomas-Effekt. „Der Thomas-Effekt beschreibt ein simples menschliches Prinzip: Ich vertraue denjenigen, die mir ähnlich sind, eher“, erklärt Ethnologin Erfurt Sandhu. Ähnlichkeiten schafften Sicherheit. „Gerade jetzt, wo es so viele Unsicherheiten gibt, ist dieser ‚Similar to me’-Effekt recht stark“, so die Programmleiterin des Aufsichtsrätinnen-Programms der HWR Berlin. Männer würden sich in Frauen der Theorie nach schlicht nicht wiedererkennen und seien daher nicht so gewillt, sie zu fördern. Der Effekt sei schon länger bekannt, müsse den Menschen jedoch bewusst sein, damit sie ihre Einstellungskriterien entsprechend anpassten. Stereotype befeuern den Karrieredruck Langsam bahnt sich jedoch Veränderung an, auch wenn die Saniererinnen dabei Starthilfe von unverhoffter Stelle bekommen. Viele Restrukturierungsexpertinnen berichten, dass männliche Kollegen sie zu den Frauennetzwerken gebracht haben. Diese helfen insbesondere dem Nachwuchs, wie etwa Wirtschaftsjuristin Kristin Winter von Schultze & Braun berichtet: „Es ist für das Netzwerken hilfreich, wenn man andere Frauen kennt, an denen man sich orientieren kann, die man beobachten kann, um anschließend für sich selbst Rückschlüsse ziehen zu können.“ Denn am Standort der Kanzlei in Braunschweig arbeiteten ausschließlich männliche Verwalter-Kollegen. „Frauen, die laut sind, gelten nicht als durchsetzungsstark, nur als zickig.“ Quelle: eine Restrukturierungsexpertin Isolierung ist ohnehin keine Lösung. Sabrina Hirniak spricht vielen Restrukturiererinnen aus der Seele, wenn sie betont: „Es ist ungemein wichtig, gemeinsame Netzwerke zwischen Männern und Frauen aufzubauen, so dass sich diese besser ergänzen.“ Doch wieso ist es so schwierig für Frauen, als kompetent und ebenbürtig wahrgenommen zu werden? Hier kommt die zweite große Hürde zum Vorschein: Stereotypen. „Frauen, die laut sind, gelten nicht als durchsetzungsstark, nur als zickig“, fasst eine Expertin ihre Beobachtung zusammen. Frauen müssen sich demnach Gedanken machen, wie authentisch sie im beruflichen Kontext auftreten wollen, was in der Fachwelt auch als „Double-bind-Dilemma“ bekannt ist, wie Erfurt Sandhu erläutert: „Es beschreibt die jeder Frau bekannte Zwickmühle: Agiere ich stereotyp männlich, gelte ich als nicht authentisch und werde nicht gemocht. Agiere ich stereotyp weiblich, gelte ich als nicht passend zur Branchenkultur. Es braucht viel Energie, dieses Dilemma in der männlich geprägten Kultur auszuhalten.“ Info Kritik an Fraueninitiativen In vielen Gesprächen fällt auch die ein oder andere Kritik gegenüber den Fraueninitiativen, insbesondere innerhalb größerer Institutionen. Beispielhaft dafür steht der Umgang in der TMA Deutschland mit TMA Now. Seit Jahren ist es gesetzt – ob bei der jährlichen europäischen Konferenz oder der deutschen Jahrestagung –, dass TMA Now als Vorabendveranstaltung angelegt ist. Im Programm der Hauptveranstaltung würden wiederum kaum Frauen vorkommen. Restrukturiererinnen und Restrukturierer fordern daher, bei Veranstaltungen darauf zu achten, dass Frauen auch als Vortragende platziert sind. Das gelinge zwar immer besser, sei aber ausbaufähig, so die beinahe einhellige Meinung. Warum Frauen stärker unter Druck stehen Klischees bremsen also die Karriere. Besonders Kinder sind eine Hürde: „Man hat immer im Rucksack zu tragen, man könnte ja schwanger werden“, sagt eine Befragte. Es werde zwar besser, seitdem auch Väter Elternzeit nehmen könnten. Aber auch viele andere berichten: „Man hat immer das Gefühl, dass man in der Karriere etwas langsamer ist, weil man Mutter werden könnte.“ Später im Berufsleben komme oft noch das Pflegen von Angehörigen hinzu. Eine Familie zu haben, ist gerade für Restrukturiererinnen besonders herausfordernd. „Man kann nie wirklich auf längere Sicht planen, man weiß nie, was der Tag oder die Woche bringt, wann ein Verfahren kommt, wo es verortet ist und welche Größe es hat“, erklärt Elske Fehl-Weileder. Das heißt auch: Das Familienleben müsse um den Job herum geplant werden. „Als Frau mit Familie tut man sich da schwerer“, so die unter anderem in Nürnberg und München tätige Anwältin. Denn das Familienleben ist in den meisten Haushalten – auch bei berufstätigen Frauen – immer noch Frauensache. Laut dem Statistischen Bundesamt leisteten Frauen 2022 wöchentlich rund 30 Stunden und damit 44 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Das Gros der befragten Restrukturierer bestätigt diese Beobachtung, allerdings zunehmend weniger bei den jüngeren Kollegen. Elske Fehl-Weileder (links) ist assoziierte Partnerin bei Schultze & Braun und Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht. Kristin Winter ist als Wirtschaftsjuristin tätig. Beide sind als Insolvenzverwalterinnen bestellt. Foto: Schultze & Braun Sandhu: „Wandel ist immer unangenehm“ Hier sind die Arbeitgeber gefragt: „Häufig gibt es in Unternehmen noch starre Karrierepfade, die sich an einer männlichen Normalarbeitsbiografie orientieren: ohne Unterbrechungen geht es in Vollzeit aufwärts“, erklärt Erfurt Sandhu. „Plateaus oder Unterbrechungen aufgrund von Kindererziehung oder Pflege lassen Frauen auf der Aufstiegsleiter abfallen.“ Wie also könnte eine Lösung aussehen? Eine Frauenquote wäre eine Möglichkeit, sagt die Ethnologin Erfurt Sandhu. Es gebe mittlerweile eine Forschung aus Skandinavien zur Wirkung von Quoten. In den Organisationen würden mit der Einführung der Frauenquote Auswahlprozesse stärker strukturiert und formalisiert und damit die Qualifikation genauer überprüft – bei Männern wie bei Frauen. „Es zeigte sich, dass mit der Quote das Qualifikationsniveau insgesamt angestiegen ist. Das hat aber auch zur Folge, dass nur mittelmäßig qualifizierte Männer in der neuen Struktur zurückfallen“, erklärt Erfurt Sandhu. „Und natürlich tut es weh, wenn Privilegien hinterfragt werden. Wandel ist immer unangenehm“, konstatiert sie. „Der hohe Männeranteil ist ein Indiz dafür, dass es benachteiligende Strukturen im Unternehmen gibt.“ Quelle: Philine Erfurt Sandhu, Ethnologin Eine Quote bringt aber auch Misstrauen. Wurde die Frau befördert, nur weil sie eine Frau ist? Es soll doch eigentlich nach Leistung gehen. Eine Frauenquote widerspreche dem Leistungsgedanken, monieren Kritikerinnen und Kritiker gern. Dem stellt sich Erfurt Sandhu entschieden entgegen: „Wenn tatsächlich nach Leistung ausgewählt würde, dann wären die meisten Führungsgremien schon weitestgehend paritätisch aufgestellt. Denn es steigen zumeist gleich viele Frauen und Männer ins Unternehmen ein.“ Das sei in der Restrukturierungsbranche zwar nicht zwingend so, die Zahlen von Universitätsabsolventen würden aber nicht so weit auseinanderklaffen, als dass sie die wenigen Frauen bei prestigeträchtigen Fällen erklären würden. Wenn es also einen Selektionsprozess gegeben habe, dann sei der hohe Männeranteil ein Indiz dafür, dass es benachteiligende Strukturen und Kulturen im Unternehmen gebe, so die Berlinerin. Einschlägige Branchenverbände und ihre Mitglieder▪ 19 männliche Mitglieder und weitere 11 passive männliche Mitglieder zählt der seit 1986 bestehende Gravenbrucher Kreis, der sich aus Vertretern führender Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammensetzt.▪ 100 weibliche Mitglieder zählt das Frauennetzwerke Distressed Ladies, wobei 5 Frauen den Vorstand bilden.▪ 359 Männer und 40 Frauen formen die Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland. Im Netzwerk TMA Next Gen, in dem sich seit 2016 die Restrukturierer der nächsten Generation organisieren, liegt der Frauenanteil bereits bei 20 Prozent.▪ 9 Männer und 2 Frauen zählt der erweiterte Vorstand von TMA Deutschland. Im vierköpfigen geschäftsführenden Vorstand sind 0 Frauen vertreten.Quelle: FINANCE Recherche Keine Gruppendominanz bei vorhandener kritischer Masse Um die vorhandenen männlichen Strukturen aufbrechen zu können, müsse der Frauenanteil in der Restrukturierung steigen. „Die kritische Masse für Veränderung ist ein Drittel“, erklärt Erfurt Sandhu. Erst dann lasse der Fokus auf das Thema nach und Frauen würden eine natürlichere und präsentere Rolle in der Branche einnehmen. Ähnlich verhalte es sich beim Netzwerken: „Dass Männer ausschließlich andere Männer weiterempfehlen, ohne genau die Qualifikation zu überprüfen, kann man nicht ohne strukturelle Veränderungen wie etwa transparente Auswahlprozesse ändern“, erklärt die Wissenschaftlerin. Dafür brauche es Verbündete, etwa Männer, die das Phänomen erkennen. „Die fehlende Parität können Frauen nicht alleine lösen.“ Quelle: Eine Turnaround-Beraterin Männlich dominierte Strukturen, dadurch bedingt schwer zugängliche Netzwerke und eine schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Damit Frauen reelle Führungschancen in der Restrukturierungsbranche haben, gibt es große Hürden zu überwinden. Damit dies gelingt, muss ein Umdenken stattfinden und auch die Infrastruktur – sowohl in den Beratungshäusern als auch bei Banken, Mandanten und im Betreuungswesen – angepasst werden. Anwältin Fehl-Weileder formuliert es so: „In den Köpfen aller muss ankommen, dass Frauen Teil des Gesamtbildes sind. Sie sollten sich nicht um möglichst männliches Auftreten bemühen, sondern ihre individuellen Stärken nutzen – es muss nicht immer ‚Auf-den-Tisch-Hauen’ sein.“ Und ein weiterer Faktor ist entscheidend: „Die fehlende Parität können Frauen nicht alleine lösen“, subsumiert eine Beraterin eines internationalen Beratungshauses. „Man löst dieses Ungleichgewicht nur als Gesamtunternehmen.“ Dieser Gedanke muss jetzt noch in der Restrukturierungsbranche ankommen.

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